Folge 573
19. September 2004
Sender: WDR
Regie: Peter F. Bringmann
Drehbuch: Peter Goslicki, Mario Giordano
So war der Tatort:
Familiengeschichtlich.
Denn die Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) sind bei ihrem 29. Einsatz auch historisch gefordert. Nicht zum ersten (und bei weitem nicht zum letzten) Mal werden die Verbrechen der Nationalsozialisten aufgegriffen: Bereits 1998 setzten sich Schenk und Ballauf in Bildersturm mit den Gräueltaten der Wehrmacht auseinander, den Nazis der Gegenwart stellten sich die Kölner Kommissare wenige Monate zuvor in Odins Rache. Auch in Verraten und verkauft schlagen die Filmemacher den Bogen zurück ins Dritte Reich und beleuchten ein düsteres – in dem Fall rein fiktives – Kapitel der deutschen Geschichte.
Zunächst aber wird auf einer Landstraße im Hier und Jetzt die Leiche von Sven-Uwe Schütze gefunden. Schütze hatte mit seinem Kumpel Gregor Schernikau (Thomas Arnold, mimte von 2012-2015 Rechtsmediziner Dr. Jonas Zander im Dortmunder Tatort) seine ostdeutsche Heimat verlassen, um in Köln Geld zu verdienen – wohl aber nicht nur auf legalem Wege. Eine Notiz in der Wohnung des Toten führt direkt ins noble Albertus-Magnus-Internat von Direktorin Elisabeth Mahlmann (Ulrike Kriener, Alibi für Amelie), wo die Sprösslinge besonders wohlhabender Eltern ihr Dasein fristen.
Darunter auch die Freunde Thomas Loebelt (Adrian Topol, Bombengeschäft) und Marc Landauer (Kostja Ullmann, Wo ist nur mein Schatz geblieben?). Ihre Familien sind seit Generationen befreundet und durch ein lange zurückliegendes und undurchsichtiges „Geschäft“ miteinander verbunden. Darüber spricht Thomas‘ Großvater, der Privatbank-Chef Prof. Dr. Rudolf Loebelt (Ulrich Matschoss, mimte von 1981-1988 Kriminalrat Karl Königsberg in den Schimanski-Tatorten) allerdings nicht so gern. Seine Zugehörigkeit zum Bildungsbürgertum betont er Ballauf gegenüber dafür um so nachdrücklicher:
Solche verbalen Duftmarken setzt setzt die Oberschicht in der 573. Tatort-Folge immer wieder. Der Krimi von Regisseur Peter F. Bringmann, der zwei Jahre zuvor mit dem Münster-Erstling Der dunkle Fleck einen großen Wurf landete, erzählt zwar viel von ihr, sehen tun wir sie leider nicht.
Abgesehen davon, dass das Albertus-Magnus-Internat den Charme einer Jugendherberge versprüht und von der Einrichtung her kaum wie eine Elite-Schule wirkt, nimmt man den Jungdarstellern die Kids aus gutem Hause zu keinem Zeitpunkt ab. Der Stempel der arroganten Schnösel wird ihnen lieblos aufgedrückt, etwa wenn Loebelt-Junior dem verdutzten Schenk, der undercover als Hausmeister im Internat ermittelt, gönnerhaft einen Fuffi in die Brusttasche stopft. Da zeichnet der herausragende Bodensee-Tatort Herz aus Eis fünf Jahre später ein deutlich glaubwürdigeres Bild einer elitären Bildungseinrichtung.
Der mit klangvollen Namen besetzte Cast bekommt im Drehbuch von Peter Goslicki und Mario Giordano (Altes Eisen) wenig Raum zur Entfaltung. Das Duo hat sich bei seiner ersten Arbeit für den Tatort einiges vor-, sich dabei aber übernommen. Kapitalismuskritik, fehlende wirtschaftliche Perspektiven im Osten oder der innerfamiliäre Umgang der jüngeren Generation mit den menschenverachtenden Verbrechen der Nazis: Alles will verarbeitet sein. Das ist im Hinblick auf den Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nachvollziehbar, bietet aber Stoff für gleich drei abendfüllende Krimis.
So bleiben sich die Filmemacher auch im Hinblick auf seichte Nebenschauplätze treu: Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) ist auf Partnersuche im Internet und Schenk bandelt mit der schwer in ihn verguckten Sekretärin Christa Rentzel (Astrid Meyerfeldt, Krumme Hunde) an. Das wirkt niedlich und gipfelt sogar in einer Kussszene (!), bewegt sich erzählerisch aber auf Rosamunde-Pilcher-Niveau. Und leider bringt auch die Ménage-à- trois zwischen Loebelt, Landauer und ihrer Mitschülerin Daniela Paulke (Anna-Maria Mühe, Unsichtbar), deren Mutter Irene (Petra Kleinert, Frau Bu lacht) als Journalistin den Großvater des Opfers interviewte, die Geschichte nicht voran.
Verraten und verkauft nimmt erst nach einer Stunde Fahrt auf, als Dr. Roth (Joe Bausch) die obligatorische zweite Leiche begutachtet. Von da an spitzt sich die Handlung zu und der klassisch gebaute Whodunit mündet schließlich in einen knisternden Showdown, inklusive überraschender Auflösung. Überraschend ist auch die interessante Parallele zum Kölner Tatort Rabenherz, der gut vier Jahre später erstmalig auf Sendung geht: Petra Kleinert und Anna-Maria Mühe, die hier als Mutter und Tochter zu sehen sind, stehen darin erneut zusammen vor der Kamera – und Freddy Schenk wagt nach seinem Hausmeister-Intermezzo einen weiteren Undercover-Ausflug: als Pfleger in einer Klinik.
Die deutsche Vergangenheitsbewältigung beschränkt sich in der Krimireihe übrigens nicht auf Köln und wird vor allem ab den 2020er Jahren häufiger betrieben: 2020 lüfteten Das fleißige Lieschen aus Saarbrücken und der Berliner Tatort Ein paar Worte nach Mitternacht die Geheimnisse um zwei fiktive Schreckenstaten aus der NS-Zeit. Und der Schauplatz des hessischen Historien-Tatort Murot und das 1000-jährige Reich von 2024 ist ein Dorf im Jahr 1944.
Bewertung: 4/10
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