Folge: 625 | 19. März 2006 | Sender: WDR | Regie: Hendrik Handloegten
Bild: WDR/Uwe Stratmann |
So war der Tatort:
Naheliegend.
Schließlich hat der WDR seit 1997 mit den beliebten Kölner Hauptkommissaren Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Diemar Bär) ein Tatort-Duo unter seinen Fittichen, das mit einer (im positiven Sinne) emotionalen Hau-drauf-Mentalität seine Fälle löst, den moralischen Zeigefinger hebt und mit ernster Tonalität bei gesellschaftlichen Themen den Finger in die Wunde legt – etwa in Folgen wie Manila oder Kinder der Gewalt. Was wäre da wohl naheliegend, um mal etwas Abwechslung in diese Sonntagsroutine zu bringen?
Genau: Für das Drehbuch beauftragt man als Sender einfach ein eingespieltes Autorenduo, mit dem man schon mehrfach erfolgreich zusammengearbeitet hat und das die Krimireihe seit 2002 gehörig aufmischt. Die für den humorvollen und ebenfalls vom WDR in Auftrag gegebenen Tatort aus Münster verantwortlichen Stefan Cantz (Sag nichts) und Jan Hinter (Der doppelte Lott) schrieben die Geschichte zu Pechmarie. Mit Hendrik Handloegten (Der tote Chinese) führt ein preisgekrönter Filmemacher Regie und heraus kommt ein durchaus ungewöhnlicher, aber bemerkenswerter Tatort. Klaus J. Behrendt sagte 2006 dazu: „So habe ich uns noch nie gesehen.“
Schon der Auftakt der 625. Tatort-Folge gestaltet sich eigenwillig: Ein Juwelier wird von zwei Maskierten überfallen. Die Räuber haben es auf wertvolle Diamanten abgesehen. Beim Überfall kommt es zu einer Auseinandersetzung, bei der der Juwelier erschossen und einer der Täter verletzt wird. Die zweite am Überfall beteiligte Person schnappt sich kurzerhand die Beute und lässt ihren verwundeten Komplizen einfach schreiend zurück. Eine skurrile Szene, die entfernt an die Coen-Brüder und ihren Klassiker Fargo erinnert. Als Ballauf und Schenk, die bei ihrem 34. Einsatz erneut auf die Unterstützung des meist gut gelaunten Polizeihauptmeisters Heinz Obst (Arved Birnbaum) zurückgreifen können, am Tatort eintreffen, sind die Räuber verschwunden.
Cantz und Hinter machen in der Folge aber kein Geheimnis aus der Identität von Bonnie und Clyde, die fortan getrennt unterwegs sind. Die Aussage einer Hotelangestellten (Katharina Schmidt) führt auf die Spur der titelgebenden (und vom Grimmschen Märchen „Frau Holle“ inspirierten) Pechmarie Marie Menke und ihres Freundes Heiner Wolff (Peter Moltzen, Brandmal). Letzterer nimmt kurzerhand den diesmal auffallend mürrischen Rechtsmediziner Dr. Roth (Joe Bausch) als Geisel und lässt sich von ihm in der Pathologie notverarzten. Nichts für zartbesaitete Gemüter und gleichzeitig einer der bis heute erinnerungswürdigsten Auftritte des Pathologen. Er steht seinem Münsteraner Kollegen Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) im schicken Anzug und in Sachen Schlagfertigkeit diesmal in nichts nach.
WOLFF:Haben Sie nicht irgendwas gegen die Schmerzen? Morphium oder irgendwas?DR. ROTH:
Ich bin hier nicht auf Laufkundschaft eingestellt. Meine Patienten brauchen keine Schmerzmittel mehr.
Die Suche nach dem flüchtigen Gaunerpärchen bildet die kriminalistische Antriebsfeder in diesem unterhaltsamen Howcatchem. Die Ermittler wenden sich an Sophie Menke (Nicolette Krebitz, Alles hat seinen Preis), die Schwester der Flüchtigen, in der Hoffnung, sie könnte sich bei ihr melden. Aber auch der ehemaliger Schauspiellehrer der Gesuchten, Christof Rüter (Thorsten Merten, mimte von 2013 bis 2021 den Kommissariatsleiter Kurt Stich im Tatort aus Weimar), gerät ins Visier der Ermittler. Der eigentliche Fall ist dabei schnell Nebensache – der Tatort aus Münster lässt grüßen. Raum zur Entfaltung bekommen in der mit schwarzem Humor gespickten Krimikomödie vielmehr die Nebenfiguren und Randgeschichten.
Freddy Schenks Angst vor Scharlach etwa, ironisch unterfüttert durch den Verweis auf Molières Theaterstück Der eingebildete Kranke, zieht sich als Running Gag durch den Film. Der mittellose Opernsänger Antonio Bartolini (Alexander Sascha Nikolic), Sophie Menkes Ex-Verlobter, schmettert Arien in Hausfluren, in Ballaufs Pension und im Präsidium. Er sorgt nicht nur für Kopfschütteln bei Staatsanwalt von Prinz (Christian Tasche), sondern erwärmt auch – wie könnte es anders sein – das Herz der stets unglücklich verliebten Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt). Auch Dorothea Walda (Hundeleben) als ältere Dame, die bei einer Gegenüberstellung Ballauf (!) als Täter identifiziert oder Peter Kern als Hehler Niedlich, der mit Wiener Schmäh die Kommissare an der Nase herumführt, wissen zu überzeugen. Erwähnt sei auch Milan Peschel (Querschläger), der sein großes schauspielerisches Potenzial bei zwei Kurzauftritten als drogensüchtiger Informant kaum zeigen darf und fast verschenkt wirkt.
Der Clou am Ende des Films wird zwar klug vorbereitet, verfehlt seine Wirkung aber doch, weil er – und damit schließt sich in dieser Kritik der Kreis – einfach zu naheliegend ist. Pechmarie ist dennoch eine sehenswerte Folge, auch weil sie die schon 2006 ziemlich ausgetretenen Kölner Pfade verlässt. Der humorvolle(re) Ansatz steht Ballauf und Schenk gut zu Gesicht. Dass Glaubwürdigkeit und Spannung in solchen Fällen oft zu kurz kommen – so auch hier – ist nicht überraschend. Der Verzicht auf den obligatorischen Besuch an der Wurstbude am Rhein schon, denn der ist im Kölner Tatort doch nun wirklich, genau: naheliegend.
Bewertung: 6/10
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