Folge: 738 | 21. Juni 2009 | Sender: SWR | Regie: Thomas Freundner
Bild: SWR/Schweigert |
So war der Tatort:
Lebensgefährlich.
Zumindest für Hauptkommissar Sebastian Bootz (Felix Klare), der in den Anfangsminuten der 738. Tatort-Folge über den Haufen geschossen wird und erhebliche Mengen Blut verliert.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Thorsten Lannert (Richy Müller) stürmt Bootz ein schickes Penthouse in einem Wohnkomplex – und dort liegt nicht nur Das Mädchen Galina, dem der vierte gemeinsame Fall der Stuttgarter Ermittler seinen Titel verdankt, in einer großen Blutlache, dort versteckt sich auch ein Unbekannter, der sofort das Feuer auf die Kommissare eröffnet. Bootz geht getroffen zu Boden, Lannert kann sich mit ihm in den Fahrstuhl retten – doch als das SEK die Wohnung stürmt und Bootz ins Krankenhaus gebracht wird, sind Leiche und Täter verschwunden.
Was für ein packender Auftakt!
Der Bruch mit dem üblichen Eröffnungsprozedere der Krimireihe, schon gleich zu Beginn einen wilden Schusswechsel zu platzieren und die Spannungskurve ungewohnt früh nach oben ausschlagen zu lassen, erweist sich dramaturgisch als Volltreffer – Bootz hingegen hat Glück, dass der Schuss auf ihn eben kein Volltreffer war und erscheint am nächsten Morgen zum Staunen von Staatsanwältin Emilia Alvarez (Carolina Vera) und Assistentin Nika Banovic (Miranda Leonhardt) im Präsidium.
Der Arm ist nach dem Streifschuss zwar noch nicht zu gebrauchen, aber da gibt es ja den aufopfernden Kollegen, der ihm liebevoll den Sicherheitsgurt im Dienstwagen anschnallt oder ihm das zähe Schnitzel in der Kantine mundgerecht zerteilt. Eine köstliche Szene.
LANNERT:Das lässt sich ja selbst mit zwei gesunden Händen kaum schneiden.
Nach der packenden Ouvertüre und dem daraus resultierenden Handicap für Bootz (das er mit manch anderem Kommissar teilt, vgl. zum Beispiel Moritz Eisner in Lohn der Arbeit) ist es unter Regie von Filmemacher Thomas Freundner (Herzversagen) aber fast schon wieder vorbei mit der Spannung.
Drehbuchautor Stephan Brüggenthies (Erfroren) hat einen klassischen Whodunit konzipiert, der die ausgetretenen Pfade der Krimireihe nur in den Anfangsminuten verlässt und in der Folge kaum noch mit unverhofften Wendungen überrascht.
Aus dem einleitenden Verschwinden der Leiche generiert der Film keinen Mehrwert – dass Galina, die sich als Prostituierte aus dem Rotlichtmilieu entpuppt, wirklich tot ist, erscheint unzweifelhaft, und dass sie früher oder später gefunden wird, steht eigentlich außer Frage. Da hätte man sie auch gleich im Penthouse lassen können.
Auch die Spur zum Besitzer der Wohnung, dem umtriebigen Aktfotografen Wolf Zehender (Christian Koerner, Das schwarze Grab), ist schnell gefunden. Er ist neben dem Politiker Bertram Högeler (Stephan Schad, Der glückliche Tod) der zweite Hauptverdächtige in diesem Tatort, spricht aber das deutlich schlechtere Schwäbisch (ein „isch“ statt „ist“ macht schließlich noch lange keinen echten Schwaben). Eine ähnliche Konstellation (hemdsärmeliger Handlanger, Politiker im Anzug) gab es mit gleicher Besetzung bereits eineinhalb Jahre zuvor im Konstanzer Tatort Der Kormorankrieg.
Beide haben Dreck am Stecken, verkehren regelmäßig im Milieu und erscheinen damit so verdächtig, dass eines gewiss ist: Keiner von ihnen wird sich am Ende als Mörder entpuppen, denn dann wäre die Auflösung des Krimis zu einfach – und so richtet sich der Blick der genreerprobten Zuschauer automatisch auf die von ihrem Mann betrogene Politikergattin Tonia Högele (Ulrike Grote, Der Tote vom Straßenrand), ihre pubertierende Tochter Laura (Anna Bullard, Zwischen den Ohren) und die aufgeweckte Prostituierte Mareen (Margarita Breitkreiz, Unbestechlich), die gut mit dem Opfer bekannt war.
Während im Hause Högele, in dem vorzugsweise auf Treppen gelauscht und geschmollt wird, erwartungsgemäß vieles im Argen liegt, bedienen die Filmemacher auch außerhalb dieser vier Wände fleißig Klischees und betreiben plumpes Politiker-Bashing, das in der Schlussszene des Krimis noch einmal aufgegriffen und ironisch abgeschwächt wird (was freilich nicht mehr viel rettet). Fast zum Fremdschämen lädt auch eine Sequenz ein, in der Laura höchstpersönlich Nachforschungen im Rotlichtmilieu anstellt und von einem pädophilen Bordellkunden umgarnt wird.
Einen weitaus gelungeneren, weil bemerkenswert selbstironischen Moment gibt es dafür im Mittelteil zu verzeichnen: Lannert lässt sich von seiner Nachbarin Lona (Birthe Wolter, nach In eigener Sache und Tödliche Tarnung zum dritten Mal im Stuttgarter Tatort zu sehen) zu einem spontanen Videoabend überreden, weil die gerade ein Referat über Gewaltdarstellungen im Fernsehen vorbereitet und fachkundigen Rat auf der Zielgeraden offenbar noch sehr gut gebrauchen kann.
LONA:
Ich muss bis Freitag noch zwanzig Krimis gucken.
LANNERT:Ist doch eh alles Quatsch.
LONA:
Ja, genau. Kannste mir mal sagen, wie unrealistisch das alles ist.
Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort „Tote Männer“
Schreibe einen Kommentar