Bild: Das Erste

Durchgedreht

Folge: 990 | 21. August 2016 | Sender: WDR | Regie: Dagmar Seume

Bild: WDR/Martin Valentin Menke

So war der Tatort:

Abfällig. Dass es Rechtsanwälte, Journalisten und Politiker bei den Drehbuchautoren der Krimireihe schwer haben, ist hinlänglich bekannt – man denke nur an den Kölner Tatort Ohnmacht oder die Folge Roomservice aus Ludwigshafen.

In Durchgedreht bekommt mit den LKW-Fahrern eine weitere Berufsgruppe ihr Fett weg, und das ausgerechnet durch Publikumsliebling Freddy Schenk (Dietmar Bär): „Zehn Minuten linke Spur, und schon gleichauf“, ätzt der Kölner Hauptkommissar bei der Befragung des von mangelndem Selbstwertgefühl zerfressenen Brummifahrers Gunnar Schwalb (Stephan Szász, Borowski und der vierte Mann) – er hat offenbar wenig für Trucker übrig.

Mit dem arroganten Schreiberling Ole Winthir (Peter Benedict, Hinter dem Spiegel) gibt es auch wieder einen unsympathischen Journalisten im Figurenensemble, der sogar zum Kreis der Tatverdächtigen zählt: Einleitend wird der Zuschauer Zeuge eines grausamen Doppelmordes, den die achtjährige Anna (Julie-Helena Sapina) im Gegensatz zu ihrer Mutter Freya Rödiger (Andrea Kratz) und ihrem kleinen Bruder überlebt. Eine nächtliche Rachetat, weil Rödigers über Nacht abwesender Lebensgefährte Sven Habdank (Alexander Beyer, Verfolgt) sich bei seiner Arbeit als Steuerprüfer einen Feind zuviel gemacht hat?

Ins Visier von Familienmensch Schenk und Junggeselle Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) gerät auch Bauunternehmer Pit Benteler (Max Herbrechter, Pauline), dessen Schicksal allerdings früh zu erahnen ist und erfahrene Krimi-Zuschauer kaum von der richtigen Auflösung abbringen dürfte. Anders als Journalist Winthir erhält Benteler als Figur auch keinen nennenswerten Tiefgang: Die Charakterzeichnung fällt genauso oberflächlich aus wie das Kölsche Gemecker über das deutsche Steuersystem, das im gewohnt sozialkritischen Tatort aus der Domstadt natürlich nicht fehlen darf.


BALLAUF:
Wenn ich mir angucke, was von meinem Bruttogehalt überbleibt…

Regisseurin Dagmar Seume (Benutzt) und Drehbuchautor Norbert Ehry (Dicker als Wasser) erzählen einen mit melodramatischen Elementen angereicherten klassischen Whodunit, der von Minute 1 bis 88 in geordneten Bahnen verläuft.

Ihr Krimi fühlt sich aber eher an wie ein Familiendrama, weil manches hinter dem Rücken der Kommissare abläuft und die emotionalen Reizpunkte in der Verwandtschaft der Toten liegen: Während Habdanks Bruder Michael (Christian Erdmann) ein Verhältnis zur Ermordeten nachgesagt wird, lodert im Hause Schwalb der unterschwellige Sozialneid. Fragen gibt es unter dem Strich nur zwei zu beantworten: Wer ist hier Durchgedreht – und warum?

Der Weg zur Antwort führt über endlose Aneinanderreihungen von Dialogen, die den 990. Tatort nach dem beklemmenden Auftakt im Elternhaus der kleinen Anna in ein einstündiges Spannungsloch stürzen lassen. Die ermüdenden Allgemeinplätze zum deutschen Steuersystem drosseln die Dynamik zusätzlich, während andere Sequenzen wie Fremdkörper wirken: Assistent Tobias Reisser (Patrick Abozen) wird in seinem Büro dabei ertappt, wie er im Asservatenverzeichnis einen schwarzen Dildo angeklickt hat, steht aber deutlich weniger im Blickpunkt als wenige Monate zuvor in der Bonnie-und-Clyde-Abwandlung Kartenhaus.

Dass Durchgedreht unter dem Strich dennoch ein sehenswertes Krimidrama ist, liegt neben der handwerklich soliden Umsetzung am emotionalen Showdown: Als die Katze aus dem Sack und die Täterfrage geklärt ist, ziehen die Filmemacher die Spannungsschraube spürbar an, so dass das dramatische Ende ein Stück weit für die Längen im dialoglastigen Mittelteil entschädigt. Da darf auch die obligatorische Verfolgungsjagd nicht fehlen, die allerdings über wenig aufregende Landstraßen und nicht etwa durch die vielbefahrene Kölner City führt.

Apropos Innenstadt: Nach monatelanger Abstinenz gibt es endlich ein Wiedersehen mit der kultigen Wurstbraterei am Rheinufer, die die Kommissare baustellenbedingt schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr aufsuchen durften, wie uns Schauspieler Dietmar Bär im Interview verriet.

Bewertung: 5/10


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert