Folge: 1008 | 22. Januar 2017 | Sender: ORF | Regie: Rupert Henning
Bild: ARD Degeto/ORF/Hubert Mican |
So war der Tatort:
Systemkritisch.
„Kein Amoklauf, keine Affekthandlung, keine Rache. Keine religiös, ideologisch oder rituell motivierte Tat. Darum geht’s hier nicht“, macht der junge Geiselnehmer David Frank (Aaron Karl, Unvergessen) den alarmierten Wiener Ermittlern Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) schon in seinem ersten Bekennervideo deutlich – er verfolgt andere Ziele. Franks Kritik richtet sich gegen das System als solches, gegen den Kapitalismus, die Globalisierung und die in seinen Augen so gnadenlose Leistungsgesellschaft von heute. Und sie hat ihn zu der von langer Hand geplanten Tat veranlasst, seine Eltern Agnes (Silvia Wohlmuth, Kinderspiel) und Hans Georg Frank (Hans Piesbergen, Strindbergs Früchte) als Geiseln zu nehmen und die Welt über die sozialen Netzwerke dabei zuschauen zu lassen.
Seine nüchtern und sachlich vorgetragene Videobotschaft ist ein vielversprechender Auftakt zu einem Tatort, der in der Folge aber deutlich weniger schockiert, als es der Krimititel nahelegt: Regisseur und Drehbuchautor Rupert Henning (Grenzfall) erzählt in Schock eine überraschend dialoglastige Geschichte und erfüllt nebenbei auch noch den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag.
Schon in den Anfangsminuten des Krimis dürfen wir der renommierten Amoklauf-Expertin Sarah Adler (Mercedes Echerer) in ungewohnter Ausführlichkeit dabei zuhören, wie sie sich im Hörsaal der Wiener Universität mit dem realen Amoklauf von Erfurt auseinandersetzt und dabei die Frage stellt, die nach solchen Schreckenstaten oft auf Trauerbotschaften zu lesen ist: Warum?
Die Wiener Ermittler tappen bei der Suche nach Franks Motiv lange im Dunkeln und müssen sich vom Geiselnehmer mehrfach vorführen lassen – zum Beispiel dann, wenn sie einen Serverraum der Uni stürmen und vor laufender Kamera nur einen Gruß des Täters finden, der die Aktion live ins Netz gestreamt hat.
EISNER:
Ich will gelobt werden.FELLNER:Wofür?
EISNER:
Dafür, dass ich net ausraste.FELLNER: Bravo, Moritz! Guter Moritz!
Vergleicht man Schock mit thematisch ähnlich gelagerten Folgen wie Feierstunde oder Hochzeitsnacht, werden im Hinblick auf das Erzähltempo und die Dosierung von Action und Gewalt große Unterschiede deutlich: Diesmal geht es für die Ermittler weniger darum, einen Wettlauf gegen die Zeit zu meistern und in letzter Sekunde Geiseln zu retten, die der Zuschauer diesmal ohnehin bis in die Schlussminuten gar nicht zu Gesicht bekommt.
Im 1008. Tatort ist der Weg das Ziel und die Vorgeschichte des Täters wichtiger als die Tat selbst: Nicht umsonst platzieren die Filmemacher im Schlussdrittel einen ausführlichen Rückblick auf vergangene Jahre, in dem das familiäre Umfeld des Geiselnehmers beleuchtet und Ansatzpunkte dafür geliefert werden, was ihn zu einer solchen Schreckenstat veranlassen könnte. Auch Eisners Tochter Claudia (Tanja Raunig) und ihr neuer Freund Kerem (Mehmet Sözer) geben dem gewohnt grantelnden Eisner Denkanstöße mit auf den Weg: schlimmer Stress an der Uni, zu hohe Erwartungen und die Furcht davor, am Ende als einer von vielen auf der Strecke zu bleiben.
Auf der Strecke bleibt dabei aber oft auch die Spannung: Wirklich aufregend wird es in Schock erst beim Showdown, doch unterhaltsam ist der 15. Einsatz von Eisner und Fellner allemal – die obligatorischen Grabenkämpfe im eilig von Oberst Ernst Rauter (Hubert Kramar) zusammengestellten Krisenstab liefern den einen oder anderen bissigen Dialog und ein paar witzige One-Liner, die sich vor allem gegen „Korinthenkacker“ Gerold Schubert (Dominik Warta) vom Verfassungsschutz richten.
Der macht eine deutlich bessere Figur als viele andere Störenfriede einer übergeordneten Behörde vor ihm, wie zum Beispiel wenige Wochen vorher Staatsschutz-Kollege Kesting (Jürgen Prochnow) in Borowski und das verlorene Mädchen: Sieht zunächst alles nach dem üblichen Kompetenzgerangel und einem frühen K.O.-Sieg für Schubert aus, sorgt er später für den größten Überraschungsmoment in diesem unter dem Strich soliden Tatort.
Auch sonst brechen die Filmemacher mit einigen ungeschriebenen Gesetzen der Krimireihe: Es fehlt vor allem an der obligatorischen Auftaktleiche, denn es muss kein Mord aufgeklärt, sondern verhindert werden. So ist Schock eine durchaus originelle und mit vielen Denkanstößen gespickte Krimi-Variation, die aber nicht ganz an die besten Fälle mit den gewohnt prächtig harmonierenden Wiener Ermittlern heranreicht.
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