Folge: 1045 | 28. Januar 2018 | Sender: MDR | Regie: Dustin Loose
Bild: MDR/Wiedemann & Berg/Daniela Incoronato
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So war der Tatort:
Überhitzt.
Und das nicht nur wegen der tropischen Außentemperaturen, die besonders den cholerischen Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) ins Schwitzen bringen: Auch wenn der Umgangston in Sachsen seit dem Amtsantritt von Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Henni Sieland (Alwara Höfels) rauer geworden ist, erhitzte noch nie ein Fall die Gemüter im Polizeipräsidium so sehr wie in Déjà-vu.
Das hat einen guten Grund: Drei Jahre nach dem Verschwinden des neunjährigen Jakob Nemec, dessen Schicksal der unter Strom stehende Schnabel zur Verzweiflung von dessen Eltern Matej (Jörg Witte, Das Recht, sich zu sorgen) und Julia (Anna Grisebach, Familienbande) nie hat aufklären können, wird in einer Sporttasche die nackte Leiche des sexuell missbrauchten Rico Krüger (Joel Simon) gefunden – ein zutiefst beklemmendes Auftaktbild, das sich ins Gedächtnis brennt und schon nach wenigen Minuten erahnen lässt, dass den Zuschauer keine leichte Kost erwartet.
Die Drehbuchautoren Mark Monheim und Stephan Wagner, die die Nachfolge des im Dezember 2017 ausgestiegenen Drehbuchautoren Ralf Husmann (Auge um Auge) antreten und zuletzt das Skript zum Berliner Tatort Ätzend konzipierten, servieren den Dresdner Ermittlerinnen einen hochemotionalen und beängstigenden Fall: Schon beim dramatischen Auftakt am Elbufer trauern wir mit Ricos aufgelösten Eltern Stefan (Jörg Malchow, Todesbilder) und Sandra Krüger (Franziska Hartmann, Borowski und das Fest des Nordens), die bis zuletzt gehofft hatten, ihr Kind noch lebend zu finden und nun wie die am Tatort kotzende Sieland den gierigen Augen empathieloser Gaffer ausgeliefert sind.
GORNIAK:
Alle machen Fotos. Widerlich. Wann sind die Leute so krank geworden?
SIELAND:Die waren immer schon so. Früher gab’s nur keine Smartphones.
Die Filmemacher scheinen sich anfangs nicht ganz entscheiden zu können, ob sie einen Whodunit oder die Jagd auf einen dem Publikum bekannten Triebtäter erzählen möchten, doch spätestens in der zweiten Hälfte findet der Film in die Spur: Als die einzige falsche Fährte aufgelöst wird und mit dem pädophilen Installateur René Zernitz (großartig: Benjamin Lillie) nur ein Verdächtiger übrig bleibt, ist das Rätselraten beendet, das aufgrund zweier früher Hinweise auf den Mörder ohnehin nie wirklich eines werden konnte.
Beim Überfall auf den bedauernswerten Schwimmlehrer Micha Siebert (Niels Bruno Schmidt, Fegefeuer) werden dann Erinnerungen an die Dürrenmatt-Verfilmung Es geschah am hellichten Tag wach, in dem sich der wütende Mob einen unschuldigen Hausierer vorknöpft – doch anders als im Schwarz-Weiß-Klassiker mit Heinz Rühmann erfahren wir in Déjà-vu auch viel über den wahren Täter, der seine Neigung geschickt vor den Augen der Öffentlichkeit verbirgt.
Ein Psychogramm ist der 1045. Tatort aber nicht: Statt seines Seelenlebens beleuchten die Filmemacher besonders die Beziehung zu seiner undurchsichtigen Lebensgefährtin Jennifer Wolf (Alice Dwyer, Dicker als Wasser) und zeichnen so das Porträt eines keineswegs abstoßenden Pädophilen, der sich vor allem nach Geborgenheit sehnt und schon rein optisch so gar nicht dem häufig bemühten Stereotyp vom schmierigen Einzelgänger entspricht.
All das wird vom bis dato jüngsten Tatort-Regisseur souverän und unaufdringlich in Szene gesetzt: Dustin Loose inszeniert ein ästhetisch konventionelles, dadurch aber nicht weniger mitreißendes Krimidrama, das sich gerade durch seine Bodenständigkeit von den oft missglückten Experimenten der Vormonate abhebt (vgl. Babbeldasch, Fürchte dich).
Die dramatische Schlusspointe und der fesselnde Showdown sind dann das Sahnehäubchen auf den bis dato mit Abstand stärksten Tatort aus Dresden – es ist der vorletzte mit Alwara Höfels, die wegen eines „fehlenden künstlerischen Konsens“ im Dezember 2017 das Handtuch warf. Dabei wirkt im Präsidium diesmal vieles runder als in den ersten vier Folgen: Der schüchterne IT-Kollege Ingo Mommsen (Leon Ullrich) untermauert mit unbeholfenen Komplimenten seinen Status als heimlicher Publikumsliebling, während Schnabels Wutausbrüche aus den fehlenden Ermittlungserfolgen resultieren und sein ewiges Hadern mit Fortschritt, Technik und Politik diesmal (fast) komplett ausgeklammert wird.
Ganz frei von Klischees ist das Drehbuch aber nicht: Journalisten werden in bester Tatort-Tradition als sensationslüsterne Schmierfinken skizziert – und (vermeintlich) pädophile Schwimmtrainer kennen die Stammzuschauer unter anderem aus Adams Alptraum oder Verdammt.
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