Folge: 1076 | 26. Dezember 2018 | Sender: HR | Regie: Lars Henning
Bild: HR/Degeto/Bettina Müller |
So war der Tatort:
Cariddifrei.
Denn bei ihrem achten Einsatz bekommen die Frankfurter Hauptkommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) bereits zum dritten Mal einen neuen Vorgesetzten: Weil Fosco Cariddi (Bruno Cathomas), der im Januar 2017 Henning Riefenstahl (Roeland Wiesnekker) abgelöst hatte, gerade auf einer Tagung weilt, übernimmt Staatsanwalt Bachmann (Werner Wölbern, Nachbarn) kommissarisch die Leitung des Präsidiums.
In dem ist Janneke diesmal aber gar nicht anzutreffen: Nachdem im nächtlichen Bankenviertel der Mainmetropole eine halbnackte Frauenleiche gefunden wird und Brix noch im Stau steht, wagt sich die passionierte Fotografin allein ins Innere des titelgebenden Turmes, wird beim Knipsen im Halbdunkeln niedergeschlagen und landet prompt mit einem Schädel-Hirn-Trauma auf der Krankenstation. Brix muss lange Zeit mit seinem Kollegen Jonas (Isaak Dentler) vorlieb nehmen – der erledigt bei den Ermittlungen die Fleißarbeit im Büro, während sich Brix in bester Wutbürger-Manier im Frankfurter Finanzmilieu und in Streitgesprächen mit Bachmann aufreibt, wie man es bei anderen Kommissaren der Krimireihe schon unzählige Male in variierter Form beobachten konnte.
Auch nach Feierabend lässt ihn Der Turm und das, was sich in seinem Inneren abspielt, aber nicht los: Er fühlt den zwei jungen IT-Nerds und Busenkumpels Jonathan (Rouven Israel) und Bijan (Rauand Taleb, Sturm) auf den Zahn, die für den im Turm ansässigen Finanzdienstleister tätig sind und ihm bei Sushi und Importbier einen Crashkurs in Sachen Microtrading geben.
JONATHAN:
Wir haben gleich beim Mathe-Einführungsseminar gemerkt: Das passt.BIJAN:Er hat immer die schlauesten Fragen gestellt.JONATHAN:
Und er hat sie beantwortet. Da hat der Algorithmus gepasst.
Es sind auch hölzerne Dialogzeilen wie diese, die den 1076. Tatort zu einem der bis dato schwächsten Fälle mit Janneke und Brix machen: Regisseur und Drehbuchautor Lars Henning wagt sich mit dem dubiosen und meist millionenschweren Gebaren im Finanzsektor an ein sperriges Thema, das zum Beispiel in der ZDF-Arte-Serie Bad Banks schon deutlich gekonnter (und packender) aufbereitet wurde als in diesem enttäuschenden und über weite Strecken ziemlich zähen Tatort.
Denn hier erleben wir – dafür sind die beiden IT-Experten das beste Beispiel – fast ausschließlich stereotype Figuren und das große Stochern im Nebel: Die unterkühlt-affektierte Rechtsanwaltin Dr. Rothmann (Katja Flint, Kunstfehler), die ihre finanzkräftigen Investoren und Klienten bei Nachforschungen von Polizei und Aufsichtsbehörden aus der Schusslinie hält, lässt den verärgerten Brix schon bei der ersten Begegnung im Verhörraum eiskalt abblitzen und beim späteren Espresso mit Janneke auch nur das durchklingen, was man ihr in ihrer Funktion als kommissarische Geschäftsführerin der investierenden Firmen nicht zum Nachteil auslegen könnte.
Die auffallend düster in Szene gesetzte, fast durchgehend aus der Froschperspektive fotografierte und fürs Auge undurchdringliche Fassade des titelgebenden Turms (der Hessische Rundfunk drehte den Krimi im mittlerweile abgerissenen Deutsche Bank Investment Banking Center) steht damit exemplarisch für die Mängel des Drehbuchs, denn statt wirklich zum Herzstück seines Themas durchzudringen, kratzt Henning beim Ausflug ins Finanzmilieu Mainhattans nur an der Oberfläche.
Auch die Spannung köchelt trotz der finsteren Inszenierung und der stimmigen Atmosphäre auf Sparflamme: Anders als im mitreißenden Tatort Außer Gefecht, der zu großen Teilen im Münchner Olympiaturm spielte, vermögen die Filmemacher diesem reizvollen Mikrokosmos nur wenig Aufregendes abzugewinnen. Wirklich spannend wird es erst auf der Zielgeraden, als die Ermittler ins Innere des Turmes vordringen – die Auflösung fällt dann allerdings dermaßen unbefriedigend und halbgar aus, dass das kurze Zwischenhoch angesichts der plumpen Moral mit dem Zaunpfahl schnell wieder der Ernüchterung weicht.
Damit entwickelt sich der Fadenkreuzkrimi vom Main nach seinen so konstant überzeugenden Anfangsjahren (vgl. Hinter dem Spiegel oder Die Geschichte vom bösen Friederich) zunehmend zur Wundertüte, weil großartigen Folgen wie dem Vorgänger Unter Kriegern auch immer häufiger Rückschläge wie Land in dieser Zeit oder missglückte Experimente wie der Horror-Tatort Fürchte dich gegenüberstehen. Oder eben Der Turm.
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