Folge: 1095 | 19. Mai 2019 | Sender: SWR | Regie: Jens Wischnewski
Bild: SWR/Maor Weisburd |
So war der Tatort:
Vielleicht inspiriert von den realen Schreckenstaten des Krankenpflegers Niels H. aus Wilhelmshaven – jenes Mehrfachmörders also, der dutzenden Intensivpatienten eine Überdosis Medikamente verabreicht hatte, um einen Herz-Kreislauf-Stillstand auszulösen und seine wehrlosen Opfer (meist vergeblich) zur Profilierung vor seinen Kollegen wiederzubeleben.
In Anne und der Tod fällt die Geschichte jedoch drei Nummern kleiner aus: Die titelgebende Altenpflegerin Anne Werner (Katharina Marie Schubert, Ein neues Leben) steht ebenfalls unter Verdacht, zwei ihrer bettlägerigen Patienten ins Jenseits befördert zu haben – zum einen den früheren Hotelbesitzer Paul Fuchs (Harry Täschner, Der traurige König), dessen Medikamente falsch dosiert wurden, und zum anderen den ans Krankenbett gefesselten Christian Hinderer (Christoph Bantzer, Die Ballade von Cenk und Valerie), der von seiner Gattin Gundula (Marie Anne Fliegel, Die robuste Roswita) an der kurzen Leine gehalten wird.
Einmal mehr machen es sich die Filmemacher – wir denken zurück an den großartigen Bremer Tatort Im toten Winkel – zur Aufgabe, die Mängel des deutschen Pflegeapparats in einem Krimi aufzuarbeiten. Und sie setzen dabei auf einen ähnlich dialoglastigen Ansatz wie im Stuttgarter Vorgänger Der Mann, der lügt: Der spielte über weite Strecken in einem einzigen Raum des Präsidiums – so wie auch Anne und der Tod. Das bemühte Spiegeln der Thematik im Privatleben der Stuttgarter Hauptkommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) bleibt dabei erfreulicherweise die Ausnahme.
LANNERT:Ich komm langsam in das Alter, wo regelmäßiger Stuhlgang eine Gnade sein kann.
Drehbuchautor Wolfgang Stauch (Tod und Spiele) und Regisseur Jens Wischnewski, der zum ersten Mal für die Krimireihe am Ruder sitzt, legen den Finger in die Wunde des Systems, ohne das Thema häusliche Pflege aufdringlich in den Vordergrund zu rücken. Dafür wird zwischen den Zeilen deutlich, welcher Belastung die Pflegekräfte in Zeiten des Fachkräftemangels ausgesetzt sind.
Das hat zur Folge, dass sich eine zweite Parallele zum Tatort Der Mann, der lügt ergibt: Wurde der stilistisch außergewöhnliche Vorgänger konsequent aus der Perspektive des Verbrechers erzählt, schlägt sich der Zuschauer in Anne und der Tod unterbewusst auf die Seite der Hauptverdächtigen. Die opfert sich Tag für Tag für ihre Patienten und ihren undankbaren Sohn Julian (Jean-Luc Caputo) auf, wirkt in den Gesprächen authentisch und unschuldig, und ist dabei auch noch überaus sympathisch, weil sie eigene Interessen stets hintenanstellt. Kann diese Frau eine Mörderin sein?
Der Weg zur Antwort auf diese Frage ist lang, aber nie langweilig, und so richtig in Fahrt kommt der 1095. Tatort dann auf der Zielgeraden: Das zutiefst bedrückende Ende entschädigt für die kleineren Längen, die sich im Mittelteil in das beklemmende Krimidrama einschleichen. Ein besonderes Kompliment ist dabei Schauspielerin Katharina Marie Schubert zu machen, die sich in diesem Tatort auch für eindringliche Nacktszenen nicht zu schade ist und den – keineswegs enttäuschenden, aber angenehm zurückhaltend agierenden – Hauptdarstellern Richy Müller und Felix Klare mit ihrer vereinnahmend-authentischen Performance glatt die Show stehlen darf.
Auch handwerklich setzen die Filmemacher trotz der bodenständigen Geschichte die eine oder andere Duftmarke, was dem Publikum gerade im ersten Filmdrittel einiges abverlangt: Die Handlung springt häufig zwischen den zeitlichen Ebenen und unterschiedlichen Schauplätzen, weil Ereignisse aus der Vergangenheit und deren Nacherzählung in der Gegenwart pfiffig zusammenmontiert werden.
Eine chronologische Aufbereitung und ein niedrigeres Schnitttempo wären beim experimentierscheuen Teil des Publikums auf Gegenliebe gestoßen – doch wer sich nicht davon abschrecken lässt, wird mit einer mitreißenden Geschichte und einer tragischen Auflösung belohnt, die nach dem Abspann noch lange nachwirkt und zum Bewegendsten zählt, was man im Tatort in den letzten Jahren gesehen hat.
Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort „Das Monster von Kassel“
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