Folge: 1094 | 12. Mai 2019 | Sender: HR | Regie: Umut Dağ
Bild: HR/Degeto/Bettina Müller |
So war der Tatort:
Hessisch-sibirisch.
Denn anders als ihre Ludwigshafener Kollegin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), die 1991 im Tatort Tod im Häcksler in „Pfälzisch Sibirien“ ermitteln musste, verschlägt es die Frankfurter Hauptkommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) ins beschauliche Kassel, das von Spöttern auch scherzhaft „Hessisch Sibirien“ genannt wird.
Eigentlich hatte der Hessische Rundfunk für die nordhessische Provinz schon 2016 einen Event-Tatort angekündigt – doch nachdem der ebenfalls als „Event-Tatort“ titulierte Krimi Fünf Minuten Himmel beim Publikum durchfiel, fast niemand den Kino-Tatort Tschiller: Off Duty sehen wollte und auch der Wunschregisseur keine Zeit für den Dreh hatte, wurde es lange Zeit still um das Projekt. Im Mai 2019 ist es aber doch noch soweit: Statt wie ursprünglich geplant ein neues Team in Kassel zu installieren, schickt der HR seine Frankfurter Ermittler einfach auf einen einmaligen Ausflug gen Norden.
Zwar hat ein brutaler Mörder eine Leiche in deren Heimatstadt am Main zerstückelt, die Teile in Plastiksäcken verstaut und in verschiedenen Müllcontainern entsorgt – doch weil es sich beim Opfer um einen Teenager aus Kassel handelt, begeben sich Janneke und Brix in die Stadt, in der sie bei den Ermittlungen von der ortskundigen Kollegin Constanze Lauritzen (Christina Große, Die robuste Roswita) unterstützt werden und in der man wider Erwarten sogar ganz hervorragend asiatisch essen kann.
JANNEKE:Haben Sie Lust, mit mir essen zu gehen? Ich hab gegooglet. In 386 Metern gibt es einen sehr guten Asiaten. 4,7 Sterne.
Die Drehbuchautoren Stephan Brüggenthies und Andrea Heller, die auch schon den Frankfurter Tatort Wendehammer konzipierten, entscheiden sich bei ihrer Geschichte gegen das für die Krimireihe typische Whodunit-Konstrukt und setzen stattdessen auf eine Kreuzung aus Whydunit und Howcatchem.
Das Monster von Kassel ist nämlich nicht etwa ein Serienmörder, sondern der aalglatte Stiefvater des ermordeten Jungen – der populäre Talkshow-Moderator Maarten Jansen (Barry Atsma), der mit seiner Gattin Kirsten Rohde-Jansen (Stephanie Eidt, Zeit der Frösche) und seinem zweiten Stiefsohn Max (Justus Johanssen, Amour fou) ein vermeintlich idyllisches Familienleben führt und in diesem Krimi gleich reihenweise Antipathiepunkte sammelt.
Aus seiner Täterschaft machen die Filmemacher um Regisseur Umut Dağ (Sonnenwende) kein Geheimnis: Nach einer finsteren Auftaktsequenz im Wald, in der Jansen die Leiche in Stücke zerhackt, blicken wir dem Mörder direkt ins Gesicht – und fortan geht es nur noch um die beiden Fragen, warum Jansen seinen eigenen Stiefsohn so bestialisch getötet hat und ob es Janneke und Brix wohl gelingen wird, dem eiskalt lügenden Verbrecher das Handwerk zu legen.
Eine Entscheidung der Filmemacher, die durchaus kritisch hinterfragt werden darf: Neben der Täterfrage ist nach einem entlarvenden KTU-Fund nämlich auch das Motiv zu erahnen – die ganz große Spannung will dadurch erst in den Schlussminuten aufkommen, als die Kommissare den mit allen Wassern gewaschenen Tatverdächtigen in die Enge treiben. Von diesen reizvollen Verhörszenen, die einleitend durch einen Zeitsprung aufgelockert werden und ähnlich wie im Berliner Tatort Machtlos oder im Stuttgarter Tatort Der Mann, der lügt zu großen Teilen in einem einzelnen Raum des Präsidiums spielen, lebt der 1094. Tatort.
Dass das große Finale einen etwas unbefriedigenden Eindruck hinterlässt, erinnert allerdings an den enttäuschenden Vorgänger Der Turm, dessen Ende bei vielen Zuschauern für Unmut sorgte. Dennoch: Allein die tolle Performance von Barry Atsma, dessen Rolle als durchtriebener und frauenverachtender Promi an seinen grandiosen Auftritt als Investmentchef Gabriel Fenger in der Miniserie Bad Banks erinnert, ist schon das Einschalten wert.
Während Janneke und Brix eine im positiven Sinne routinierte Vorstellung geben, ist Das Monster von Kassel zum Glück – man muss es leider so drastisch sagen – der letzte Tatort mit Fosco Carridi (Bruno Cathomas): Der seltsame Frankfurter Kripo-Chef, der schon bei seinem Debüt in Land in dieser Zeit sein anstrengendes Faible für Literatur auslebte, hat ein Poetik-Stipendium (!) in Südamerika erhalten und vertraut seine Abschiedspläne beim Paartanz im Büro dem Assistenten Jonas (Isaak Dentler) und Brix‘ Mitbewohnerin Fanny (Zazie de Paris) an.
Eine ebenso absurde wie rätselhafte Szene, die wie ein Fremdkörper in diesem über weite Strecken so gelungenen Krimi wirkt.
Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort „Der gute Weg“
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