Folge: 1113 | 22. Dezember 2019 | Sender: WDR | Regie: Torsten C. Fischer
Bild: WDR/Martin Valentin Menke |
So war der Tatort:
Winterlich-russisch.
Denn in Väterchen Frost, dem bereits dritten Münster-Tatort im Jahr 2019, erfahren wir erstmalig viel über die familiären Wurzeln von Kommissarin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter), die die Feiertage bei ihrer Familie in Russland verbringen möchte – und auch sonst ist der stimmungsvolle Weihnachtstatort so russisch angehaucht wie bis dato kaum eine zweite Folge der Krimireihe.
Während Krusenstern gen Wolga fliegen möchte, freut sich Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) auf den gemeinsamen Heiligabend mit seinem in Neuseeland lebenden Sohn und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) auf einen gemeinsamen Ski-Urlaub mit früheren Studienkollegen. Die weihnachtliche Vorfreude der Ermittler wird allerdings jäh durchkreuzt: Wenige Stunden nachdem Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) ihr Schlussplädoyer im Falle des wegen Totschlags angeklagten Kirill Gromow (Oleg Tikhomirov) gehalten hat, wird Krusenstern vor Boernes Haustür vom als Weihnachtsmann maskierten Russen Artjom Gregorowitsch (Sascha Alexander Geršak, Bombengeschäft)gekidnappt.
Der Entführer will Thiel und Boerne dazu zwingen, den Fall neu aufzurollen – hat die aufmüpfige Krusenstern aber unterschätzt und muss trotz Rauschebart und Weihnachtskostüm schon bald seine Identität preisgeben.
KRUSENSTERN:
Ich bin Polizistin, wissen Sie das überhaupt!?
GREGOROWITSCH:Der Weihnachtsmann weiß alles.
Das eingespielte Autorenduo Jan Hinter und Stephan Cantz, das seit 2002 eine ganze Reihe an humorvollen Drehbüchern realisiert hat (zuletzt zu Schlangengrube und Fangschuss), hat eine harmlose Krimikomödie mit allen wichtigen Zutaten für entspannte Adventsberieselung geschaffen: den passenden Soundtrack (incl. Let It Snow und Jingle Bell Rock), einen gemütlichen Glühwein-Umtrunk auf dem Weihnachtsmarkt, hübsch dekorierte Kulissen und natürlich jede Menge Weihnachtsmänner.
Als Krimi funktioniert die 1113. Tatort-Folge aber deutlich schlechter als als Komödie: In der winterlichen Kreuzung aus klassischem Whodunit und dünner Entführungsnummer will kaum Spannung aufkommen und auch die Täterfrage im Totschlagsfall wird nur pro forma gestellt. Krusensterns Entführung ändert auch nichts am seichten Erzählton, bei dem sich pfiffiger Dialogwitz und ausgelutschte Lars Krismes-Gags weitestgehend die Waage halten, denn so richtig Sorgen macht sich hier niemand: Weder Thiel und Boerne, deren Nachforschungen sich auf den Fall Gromow konzentrieren, noch Krusenstern selbst – und der Zuschauer, der live im Unterschlupf der Entführten dabei sein darf, erst recht nicht.
Während die Ermittlerin mit ihrem überraschend sanftmütigen und ebenfalls aus Russland stammenden Kidnapper schnell zum „Du“ übergeht und reichlich Plätzchen vertilgt, will dessen Manöver ohnehin nicht einleuchten: Wenn dem Entführer doch so daran gelegen ist, Gromows Unschuld ans Licht zu bringen – ist es dann nicht eher kontraproduktiv, eine mit dem Fall betraute Kommissarin vom Spielfeld zu nehmen und ihren dezimierten Kollegen zusätzliche Arbeit zu bescheren?
Mit der Logik war es in Münster noch nie weit her; frühere Fälle wie der packende Tatort Wolfsstunde haben aber bewiesen, dass eine hohe Pointendichte nicht zwingend auf Kosten des Thrills gehen muss. Sieht man vom toll inszenierten Showdown in einer nächtlichen Mehlstaubwolke einmal ab, ist der 36. Fall von Thiel und Boerne aber besonders im dialoglastigen Mittelteil, in dem sich die gelungenen Gags zunehmend ausdünnen, eine reichlich zähe Angelegenheit. Einziges Highlight ist hier die bildgewaltige Parallelmontage zu den dramatischen Klängen von Fyodor Shalyapins Otschi Tschornije, mit der Regisseur Torsten C. Fischer (Nachbarn) so manchen Zuschauer aus seinem Adventsnickerchen reißen dürfte.
Zu Russland selbst fällt den Filmemachern auch nichts ein, was über Klischees hinausginge: Die slawische Märchenfigur Väterchen Frost begegnet Thiel in trashigen Alptraumsequenzen, während Krusenstern und Gregorowitsch – natürlich – eine Flasche Wodka leeren. Die Repressalien gegen den homosexuellen Gromow („Schwul sein in Russland? Alle behandeln dich wie eine Krankheit!“) böten zwar Gelegenheit, mal klare Kante gegen Homophobie zu zeigen, doch ein solches Statement kommt im Film niemandem über die Lippen. Stattdessen hängt lediglich eine Stop-Homophobia-Postkarte mit einem geschminkten Wladimir Putin in der Wohnung des Opfers.
Münster liefert nun mal Krimis zum Wohlfühlen – da werden ernste Themen lieber umschifft, statt sie mal anzupacken.
Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort „Borowski und das Haus am Meer“
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