Folge: 1120 | 9. Februar 2020 | Sender: NDR | Regie: Mia Spengler
Bild: NDR/Sandra Hoever
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So war der Tatort:
Sündig.
Denn die Hamburger Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) verschlägt es bei ihrem siebten Einsatz auf eben jene sündige Amüsiermeile, auf der Falke früher als Türsteher gearbeitet hat: auf die Reeperbahn.
Gleich in der Eröffnungssequenz des Films wird der Zuschauer Zeuge, wie der junge Rumäne Matei Dimescu (Bogdan Iancu) den Sohn der ehemaligen Kiezgröße Egon Pohl (Christian Redl, Der Maulwurf) mit mehreren Messerstichen brutal ins Jenseits befördert. Die Täterfrage wird in Die goldene Zeit nicht gestellt, denn eine Kamera zeichnet den blutigen Mord an Johannes Pohl (Till Butterbach) auf. Als Whodunit funktioniert die Geschichte von Drehbuchautor Georg Lippert (Böser Boden) aber trotzdem: Wem war Pohl ein Dorn im Auge? Wer hat Matei angeheuert?
Die Spur führt Falke und Grosz zu Gestalten, die aus einem Standardbausatz für eine Nacht auf St. Pauli stammen könnten: zum schmierigen Bordellbesitzer Roman Kainz (Roland Bonjour, Zwei Leben), zu finsteren albanischen Clan-Mitgliedern und dem wenig zimperlichen Anführer Krenar Zekaj (Slavko Popadic, Das Leben nach dem Tod), zu osteuropäischen Prostituierten wie der jungen Voica Barbu (Emma Drogunova, Kein Mitleid, keine Gnade), zur früheren Dirne und jetzigen Barbesitzerin Katharina Vanas (Jessica Kosmalla, Money! Money!) – und natürlich zum Ex-Luden Egon Pohl, der an Demenz erkrankt ist und der sich Grosz auch gut im horizontalen Gewerbe vorstellen könnte.
POHL:Weg mit der. Viel zu schade für’n Puff. Die gehört ins Escort.
Der Dreh- und Angelpunkt im 1120. Tatort ist aber eine andere Person: Falkes alter Freund und Mentor Michael Lübke (Michael Thomas, Her mit der Marie!) hat die Leiche gefunden und anonym die Polizei alarmiert – und schon früh wird deutlich, dass die Auflösung des Auftragsmords nur über ihn zu finden ist. Lübke, den Michael Thomas herrlich abgehalftert und sehr charismatisch gibt, entspricht damit genau dem Figurentypus, den es in der Krimireihe schon oft zu sehen gab (zuletzt im Wiener Tatort Baum fällt): Der alte Bekannte hat nicht nur viel über die Vergangenheit zu erzählen, sondern spielt mit gezinkten Karten und gibt gegenüber den Kommissaren nicht sein ganzes Wissen preis.
Der Charakterzeichnung sind nostalgieschwangere Wiedersehen wie diese immer dienlich – schließlich erfährt der Zuschauer dabei auch immer etwas über die Vorgeschichte des Tatort-Kommissars. Gleichzeitig wirken die Fälle aber oft durchgeplant und fallen entsprechend vorhersehbar aus, was in diesem Krimi nicht anders ist: Lübkes Schicksal ist vorprogrammiert und unterm Strich wird dem Publikum nur wenig geboten, was über die Standardsituationen im Tatort hinausginge.
Auch die Unterstützung durch den engagierten LKA-Kollegen Thomas Okonjo (Jonathan Kwesi Aikins), der sich in Die goldene Zeit geräuschlos ins Team einfügt, ist für die Krimireihe typisch: Gastspiele dieser Art gibt es oft bei Ermittlern, die nicht auf eine bestimmte Stadt festgelegt sind, und dienen meist dem Zweck, Dynamik ins Ensemble zu bringen und den ortsfremden Kommissaren die Eingewöhnung in der neuen Umgebung zu erleichtern (vgl. Der Fall Holdt oder Mord auf Langeoog).
So richtig einleuchten will Okonjos Auftritt diesmal aber nicht: Der in Billstedt aufgewachsene Falke kennt Hamburg und den Kiez schließlich wie seine Westentasche – da hätte es das fünfte Rad am Tatort-Wagen gar nicht gebraucht. Gleiches gilt für den einen oder anderen Nebenkriegsschauplatz, durch den der Fokus auf das Wesentliche verloren geht: Insbesondere der dünne Handlungsschlenker um die elitäre Stiftung von Carolin Sehling (Deborah Kaufmann, Tiefer Fall), der undurchsichtigen Schwester des Toten, wird nur halbherzig ausgearbeitet.
So bleibt auch der Streifzug der Kommissare über die sündige Meile der Hansestadt meist oberflächlich und driftet auf der Zielgeraden sogar in den Kitsch ab: Anders als Fatih Akin in seinem mitreißenden Kiez-Schocker Der goldene Handschuh tauchen die Filmemacher nie wirklich tief in das reizvolle Rotlichtmilieu ein. Trotzdem gelingt es Regisseurin Mia Spengler, die Spannung in ihrem Debüt-Tatort auf einem sehr ordentlichen Niveau zu halten – lediglich im Mittelteil hat ihr solider Kiezkrimi an der einen oder anderen Stelle mit Leerlauf zu kämpfen.
Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort „Monster“
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