Folge 1205
19. Juni 2022
Sender: BR
Regie: Andreas Kleinert
Drehbuch: Sönke Lars Neuwöhner, Sven Poser
So war der Tatort:
Reminiszierend.
Die Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) ermitteln in Flash nämlich im Institut für Dementielle Erkrankungen und Reminiszenztherapie – und setzen dort Stück für Stück die Puzzleteile zusammen, die ihnen ein demenzkranker Psychologe, der einst einen mutmaßlichen Triebtäter therapiert hat, aus seinen lückenhaften Erinnerungen noch preiszugeben vermag.
Statt des üblichen Leichenfunds zum Auftakt schlagen die Drehbuchautoren Sönke Lars Neuwöhner und Sven Poser bei ihrem vierten gemeinsamen Tatort-Drehbuch (zuletzt: Eine Frage des Gewissens) den Bogen gut 30 Jahre zurück: 1987 wanderte Alois Meininger (Martin Leutgeb, Krank) für den Mord an einer Frau hinter Gitter, die er wohl zuvor in einem Nachtclub kennengelernt hatte. Zu rockigen Klängen von Led Zeppelin erleben wir die Nacht noch einmal mit – und es ergeben sich Parallelen zu einem neuen Opfer im Münchner Hier und Jetzt. Ist Meininger, der gerade erst aus der Sicherheitsverwahrung entlassen wurde, wieder der Täter?
Das Geschehen wechselt für einen auffallend kurzen Moment ins Präsidium – doch da ist kein Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) und auch kein Richy Semmler (Stefan Betz). Da ist auch kein Dr. Steinbrecher (Robert Joseph Bartl). Da ist fast niemand – außer Batic und Leitmayr, die sich kurz mit einem Leichenfoto beschäftigen und in der nächsten Sequenz plötzlich im Institut sitzen. Nach diesem Kaltstart treffen sie den Mann, um den sich in diesem Tatort alles dreht: den demenzkranken Norbert Prinz (Peter Franke, mimte 2001 mal im Kölner Tatort Mördergrube den Vater von Max Ballauf).
Prinz hat Meininger einst behandelt und soll den Ermittlern dabei helfen, den Aufenthaltsort des mutmaßlich erneuten Mörders herauszufinden. Während Professor Ralph Vonderheiden (André Jung, Gier und Angst) und seine Kollegin und Geliebte Dr. Laura Lechner (Anna Grisebach) eher skeptisch sind, lassen sich Batic und Leitmayr auf ein Experiment ein: In einer Art Kulisse ersteht die Praxis von damals neu auf, um Prinz‘ Erinnerungen auf die Sprünge zu helfen. Leitmayr schlüpft sogar in die Rolle des Täters. Die Spur führt ins Flash, jenen berüchtigten Nachtclub, dem dieser Krimi seinen Titel verdankt – und in dem auch Leitmayr so manche wilde Party gefeiert hat.
Geschichten zum Thema Gedächtnisverlust gab es im Münchner Tatort schon früher, und das nicht nur in Bezug auf Leitmayr: Gestern war kein Tag von 2011 beispielsweise rückte einen demenzkranken Mann ins Zentrum der Ermittlungen, während es im starken Tatort Wir sind die Guten von 2009 sein Kollege Batic war, der eine folgenschwere Amnesie erlitt. Während die genannten Filme recht klassisch konstruiert wurden, fällt Flash strukturell aus dem Rahmen – und irritiert mit einer mutigen und durchaus reizvollen, unterm Strich aber wenig glaubwürdigen Geschichte, die gleich ein halbes Dutzend der üblichen Standardmomente der Krimireihe vermissen lässt.
Schon die Abstinenz von Hammermann & Co., die wir hier näher erläutern, fällt auf, und auch sonst verlaufen die Ermittlungen nicht in den üblichen Bahnen: Es fehlen die fiebrigen Fahndungen, die Recherchen, die Verdächtigen. Der 1205. Tatort ist ein künstlerisch angehauchtes Rollenspiel, das auf zwei Zeitebenen spielt und auf das man sich einlassen muss. Gerade in der ersten Filmhälfte gestaltet sich das allerdings zäh: Leben kommt erst in die Geschichte, als sich herauskristallisiert, dass es vielleicht doch nicht Meininger war, der die Tat in den 80er Jahren begangen hat. Wäre auch irgendwie zu einfach gewesen.
Zugleich leidet Flash aber an einer immensen Vorsehbarkeit: Sieht man von den Kommissaren einmal ab, kommen für den Mord in den 80er Jahren nur noch zwei weitere Menschen im Alter des Täters infrage. Wer 1 und 1 zusammenzählen kann, dürfte die schwache Auflösung nach einer Viertelstunde erahnen. Und so faszinierend sich das Reminiszenz-Rollenspiel hier und da gestalten mag: Nach einem überambitionierten Twist auf der Zielgeraden entpuppt sich der Krimi als seltsam überkonstruierte, wenig glaubwürdige Luftnummer.
Der Weg scheint vielmehr das Ziel zu sein, denn unter Regie von Andreas Kleinert, der zuletzt den vieldiskutierten Franken-Tatort Wo ist Mike? inszenierte, dreht sich der Tatort vor allem um sich selbst. Und um das Thema Demenz, das durch die Erfahrungen von Prinz‘ Tochter Nele (Jenny Schily, Was wir erben) für uns greifbar wird. Sieht man von den interessanten Institutsmethoden ab, frühere Welten für Erkrankte wiederauferstehen lassen, gewinnen die Filmemacher diesem Thema zwar eindringliche Momente, aber wenig Neues ab – und so wird auch Flash nicht besonders lange im Gedächtnis haften bleiben.
Bewertung: 4/10
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