Folge: 1264 | 10. März 2024 | Sender: ORF | Regie: Katharina Mückstein
So war der Tatort:
Amnesisch.
Denn ähnlich wie im überragenden Austro-Tatort Unvergessen von 2013 verliert Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) in diesem Krimi sein Gedächtnis – wenngleich diesmal kein Mordanschlag, sondern K.O.-Tropfen die Ursache dafür sind. Ausgerechnet bei der ausgelassenen Feier seines 60. Geburtstags, auf der auch Majorin Bibi Fellner (Adele Neuhauser), seine schwangere Kollegin Meret Schande (Christina Scherrer) und sein Vorgesetzter Ernst Rauter (Hubert Kramar) mittanzen, mischt ein Unbekannter sie dem Wiener Oberstleutnant in den Champagner. Als der am nächsten Morgen verkatert aufwacht, ist ein Nachtclubbesitzer seit ein paar Stunden tot – und Eisners DNA am Tatort.
Kriminalisten mit folgenreichen Gedächtnislücken haben in der Krimireihe eine lange Tradition – ähnliche Geschichten erzählten etwa 2009 der starke Münchner Tatort Wir sind die Guten, 2010 der schwache Niedersachsen-Tatort Vergessene Erinnerung oder 2022 der solide Münster-Tatort Des Teufels langer Atem. Neben der persönlichen Betroffenheit der Identifikationsfigur birgt das immer einen Grundreiz; lässt sich das Erinnerungspuzzle doch Stück für Stück zusammensetzen, ehe sich am Ende ein möglichst verblüffendes Gesamtbild ergibt (das den/die Kommissar/in natürlich entlastet).
Das ist auch im Drehbuch von Thomas Christian Eichtinger und Samuel R. Schultschik, die bereits Unten zusammen schrieben, der Fall – denn Moritz Eisner ist natürlich keineswegs der Mörder, für den ihn die (wie fast immer in der Krimireihe) negativ gezeichnete Rechtsanwältin Irene Stadler (Nicole Beutler) nach der Verfrachtung in die U-Haft halten mag. Und auch der 1264. Tatort generiert seinen Antrieb daraus, dass die Ermittler herausfinden müssen, was wirklich in der Partynacht geschah. Doch anders als in den erwähnten Beispielen fällt das Zusammensetzen rätselhafter Flashbacks hier aus: Sehr schnell kristallisiert sich heraus, dass jemand Eisners Identität angenommen hat, um ihm einen kaltblütigen Mord in die Schuhe zu schieben. Es sieht schlecht für ihn aus.
RAUTER:Es gibt einen Tatort, auf dem deine DNA ist. Es gibt ein Video, das die Meret grad prüft, wo ein Typ drauf ist, der genauso aussieht wie du. Und die Tatwaffe liegt in deinem Müll.EISNER:Ja, scheiße, Ernstl, dann sag‘, was du sagen willst! Aber ehrlich!RAUTER:
Dass es saublöd ausschaut.EISNER:Wie deppert wäre ich, dass ich die Tatwaffe in meinen eigenen Müll lege?RAUTER:
Sehr.
Bis zur Entlastung von Eisner, der in Dein Verlust neben seinem 60. Geburtstag auch sein 25-jähriges Tatort-Jubiläum feiert, ist es ein weiter Weg – und der fällt im Mittelteil nicht ganz so spannend aus, wie man sich das erhoffen würde. Vielmehr ist vor allem die erste Viertelstunde, in der Eisner auch noch angeschossen wird, das Highlight einer Tatort-Folge, die sich zwar sehr unterhaltsam, aber auch ausrechenbar gestaltet. Die Auflösung der Täterfrage ist ein Kinderspiel, der Wendepunkt im Kriminalfall liest sich konstruiert. Mit Blick auf die Figuren bietet der Tatort aber großes Kino – betrachtet man allein die Charakterzeichnung, ist es vielleicht der wichtigste Austro-Tatort überhaupt.
Das liegt weniger daran, dass es nach sieben Jahren endlich ein Wiedersehen mit Eisners Tochter Claudia (Tanja Raunig) gibt, die zuletzt 2017 in Schock mitwirkte und den abenteuerlustigen Lukas (Julius Feldmeier, Verbrannt) als neuen Freund an ihrer Seite hat. Vielmehr kommen sich Eisner und Fellner in diesem Tatort so nah wie nie zuvor: Ein Kuss auf der Couch scheitert nach einem köstlichen Helium-Gag nur deshalb, weil Claudia und Lukas in letzter Sekunde die Party crashen und Eisner zu müde für einen zweiten Anlauf ist. Seiner Amnesie folgt ein Moment am nächsten Morgen, der Fellner unangenehm ist – und der offenbar im selben Etablissement gedreht wurde, in dem ein Jahr zuvor bereits der Tatort Azra entstand (klar erkennbar an den → leuchtenden Dreiecken).
Ansonsten zeigt sich in Dein Verlust, mit dem Katharina Mückstein ein überzeugendes Regiedebüt für die Krimireihe gibt, einmal mehr: Wenn es drauf ankommt, sind die österreichischen Ermittler füreinander da – nicht nur beruflich und weit über die Vorschriften hinaus. Wirken Eisner und Fellner im einen Moment noch wie ein zankendes altes Ehepaar, sind sie im nächsten Moment beste Freunde oder lieben sich wie Bruder und Schwester – und es macht einfach riesigen Spaß, ihnen dabei zuzusehen. Andere Dinge bekommen wir in diesem Tatort dafür gar nicht zu Gesicht – etwa einen ominösen Profikiller „Falkner“, der für die Handlung zwar eine zentrale Rolle spielt, vor der Kamera aber gar nicht auftaucht. Man erzählt einfach von ihm und seinem Schicksal – skurril.
Dennoch: Eisners Jubiläumsfall punktet mit einigen starken Spannungsmomenten und einer soliden Story, der allein die Originalität abgeht. Und die ungemein liebenswerten, weil noch immer nicht auserzählten Figuren (man vergleiche das nur mit Münster oder Ludwigshafen) trösten in diesem Tatort über die Schwächen und die Vorhersehbarkeit im Drehbuch hinweg. Die grandiosen Dialoge sowieso.
FELLNER:Vielleicht hast du was Falsches derwischt? Hoffentlich nicht die Torten.EISNER:Was für eine Torte?
Bewertung: 7/10
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