Folge: 1268 | 14. April 2024 | Sender: SRF | Regie: Michael Schaerer
So war der Tatort:
Angelehnt an das Schweizer Medienkunstwerk „Der Lauf der Dinge“ von 1987 – denn so wie im 16-mm-Farbfilm von Peter Fischli und David Weiss, der in diesem Tatort kurz gezeigt und explizit erwähnt wird, bringt ein kleiner Auslöser das Geschehen ins Rollen und zieht eine überraschungsreiche Kettenreaktion nach sich.
Von Affen und Menschen – der Krimititel deutet es an – beginnt im Affenhaus des Zürcher Zoos: Dort wurde ein aus dem Kongo überführter Schimpanse erstochen. Eine Woche nach der vieldiskutierten Erstausstrahlung des Münchner Tierquäler-Krimis Schau mich an stirbt also erneut im Tatort ein Tier und gleichzeitig heißt das: Die Kantonspolizistinnen Tessa Ott (Carol Schuler) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) aus der Abteilung Leib und Leben sind gar nicht zuständig. Rein juristisch gelten Tiere schließlich als Sache, wenngleich Ott das liebend gern ändern würde.
OTT:Menschenrechte für Menschenaffen. Das ist seit Jahren in der Diskussion.
Der Lauf der Dinge sieht aber vor, dass es bald menschliche Leichen zu begutachten gibt: Tierpfleger Michael Widmer (Tommi Zeuggin) wird in bester „No Country For Old Men“-Manier mit einem Bolzenschussgerät getötet, sein Augenklappe tragender Mörder Christoph Merz (Dardan Sadik) von seiner genervten Ehefrau abgeknallt – und Nicole Merz (grandios: Sarah Viktoria Frick, Der letzte Schrey) wiederum von ihrer Zwillingsschwester Aline Kaiser (ebenfalls von Frick gespielt) ermordet, die die Tat nach Suizid aussehen lässt. Das alles geschieht schon in der Auftaktviertelstunde – einen so kuriosen Auftakt mit so hoher Handlungsdichte hat es in der Krimireihe lange nicht gegeben.
Während Ott und Grandjean, die wie gewohnt vom emsigen Kollegen Noah Löwenherz (Aaron Arens) unterstützt werden, in dieser Hinsicht lange vor einem Rätsel stehen, wissen wir von Beginn an um alle Täterinnen und Täter. Und wir wissen um die Identität von Max Loosli (Michael von Burg), der Kaiser kidnappt, weil sie als Verantwortliche eines Schneeballsystems auf seine und andere Kosten ein Vermögen verdient und die Identität ihrer toten Schwester angenommen hat. Wir wissen aber nicht, was den Lauf der Dinge ins Laufen gebracht hat: Whydunit statt Whodunit, furioses Verwirrspiel statt fiebriger Fahndung.
Die wendungsreiche und skurrile Story unter Regie von Michael Schaerer (Zwischen zwei Welten) hätte in ihrer Tonalität auch gut nach Kiel, nach Frankfurt oder nach Wiesbaden gepasst: Ähnlich überdreht waren in den Jahren davor etwa Borowski und das Glück der Anderen, Falscher Hase oder Murot und das Murmeltier. Die Klasse dieser Tatort-Folgen erreicht Von Affen und Menschen zwar nicht ganz, doch ist der fünfte Fall für Ott und Grandjean bis dato der mit Abstand beste: Wenngleich die beiden einen eher bemühten Running Gag um ihre Übermüdung nach einer Vollmondnacht zelebrieren und pausenlos Sonnenbrillen tragen müssen, manövrieren sie sich sympathisch durch eine herrlich überzeichnete Story mit einigen schönen One-Linern.
GRANDJEAN:Immer hinsetzen. Auch als Pirat.
Für Staatsanwältin Anita Wegenast (Rachel Braunschweig) gilt das nur mit Abstrichen: Das Hoffen der Juristin auf den prestigeträchtigen Posten als neue Bundesrichterin stört als Fremdkörper, den die Geschichte gar nicht nötig hat – ehe sich auf der Zielgeraden dann doch noch offenbart, was sich die Drehbuchautoren Lorenz Langenegger und Stefan Brunner dabei gedacht haben. Die beiden erhielten trotz dieses Tappens in die Klischeefalle für ihr mutiges Drehbuch beim Deutschen FernsehKrimi-Festival 2024 den Sonderpreis (und schrieben auch schon den gelungenen Zürcher Erstling Züri brännt sowie den enttäuschenden Nachfolger Schoggiläbe).
Nicht nur, weil der 1268. Tatort phasenweise im Schnee spielt, werden oft Erinnerungen an den Stil der Coen-Brüder und ihren Klassiker „Fargo“ wach: Tiefschwarzer Humor trifft auf blutiges Bekriegen, klassische Krimi-Momente treffen auf kuriose Katz-und-Maus-Spiele. Bis in die Schlussminute bleibt offen, ob es einen Gewinner oder nur Verlierer dabei gibt. Und statt die üblichen Standardmomente der Krimireihe abzuarbeiten, werden diese charmant variiert: Als Grandjean etwa telefonisch bei einer DNA-Analyse Druck macht, hat sie gleichzeitig mit einem Staubsaugerkabel zu kämpfen, das die Reinigungskraft versehentlich um ihre Füße arrangiert hat.
Angesichts der zahlreichen Handlungsschlenker und der vielen Momente hinter dem Rücken der Ermittlerinnen sind auch die Momente aus deren Privatleben wohldosiert: Während Otts Mitbewohner Charlie Locher (Peter Jecklin) verzweifelt versucht, vom Methadon loszukommen, muss sich Grandjean Lover Milan Mandic (Igor Kovac) die Buchhaltung von ihr lassen. Den Erklärbär für das denkfaule TV-Publikum nach rund 70 Minuten hätte es dagegen nicht gebraucht: Hier verfällt der ansonsten so überzeugende, freche Zürcher Tatort für einen kurzen Moment in altbackene Muster, die wir eher aus Köln oder Ludwigshafen gewöhnt sind.
Bewertung: 7/10
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