Bild: SWR/Benoît Linder

Dein gutes Recht

Folge 1277

27. Oktober 2024

Sender: SWR

Regie: Martin Eigler

Drehbuch: Martin Eigler

So war der Tatort:

Keller- und beckerlos.

Assistentin Edith Keller (Annalena Schmidt) und SpuSi-Chef Peter Becker (Peter Espeloer) hatten nämlich nach über zwei Jahrzehnten in Diensten der beliebtesten deutschen Krimireihe Anfang 2024 im Vorgänger Avatar ihren Dienst quittiert – und hinterließen im Ludwigshafener Präsidium vor allem menschlich eine große Lücke. Die gilt es nun für Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und ihre Kollegin Johanna Stern (Lisa Bitter) mit einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger zu stopfen, dabei haben die beiden eigentlich ganz andere Sorgen.

In Dein gutes Recht muss sich die bis dato dienstälteste Tatort-Kommissarin unter routinierter Regie von Martin Eigler (Zerrissen), der einmal mehr auch das Drehbuch zu seinem kurzweiligen Fadenkreuzkrimi schrieb, nämlich Vorwürfen der internen Ermittlung erwehren: Der ebenso schmierige wie hartnäckige LKA-Kollege Kurt Breising (Bernd Hölscher, Die harte Kern) wurde mit der Antwort auf die Frage betraut, ob Odenthals zweifaches Abfeuern ihrer Dienstwaffe auf einen wichtigen Tatbeteiligten verhältnismäßig war oder nicht. Wir ahnen die Antwort. Und wir ahnen, wie das Ganze am Ende für Odenthal und Breising ausgeht.

In der über 50-jährigen Geschichte der Krimireihe – Ausnahmen bestätigen die Regel – ist schließlich zweierlei Gewiss: Grätschen LKA, BKA oder andere Behörden den Tatort-Kriminalisten in die Parade, erscheinen sie stets in einem unsympathischen Licht. Die Identifikationsfiguren für das TV-Publikum sind die Kommissare der Kripo, und die behalten am Ende fast immer die (moralische) Oberhand, weil ihr Instinkt sie selten trügt und sie das Herz am rechten Fleck haben.

Und da sind drei weitere Berufsgruppen, die es bei den Drehbuchverantwortlichen schwer haben: Journalisten, Politiker und Juristen, in der Regel Staatsanwälte und Rechtsanwälte (in Ad Acta wenige Wochen zuvor auch mal eine Richterin), sind im Tatort-Kosmos fast immer Ekelpakete, Opportunisten oder falsche Fuffziger. Auch im 1277. Tatort begegnen wir einem solchen Prachtexemplar: Patricia Prinz (gewohnt grandios: Sandra Borgmann, Es lebe der König!) ist eine arrogante Winkeladvokatin aus dem Bilderbuch und als Expertin für Arbeits- und Familienrecht von Beginn an tatverdächtig.

Den ärgerlichen Klischees zum Trotz ist Dein gutes Recht dennoch ein guter, weil mitreißender Krimi geworden. Für Odenthal und Stern gilt es darin, den Mörder von Prinz‘ ebenfalls als Anwalt tätigem Gatten Jasper Ünel (Mohamed Achour) zu finden: Das Paar überrascht nachts einen Einbrecher in ihrer Kanzlei, der Ünel erschießt und unerkannt entkommt.

Bei der Aufbereitung der Ermittlungen entscheiden sich die Filmemacher für eine vor allem für Ludwigshafener Verhältnisse ungewöhnliche Erzähltechnik: Nach dem obligatorischen Leichenfund zum Auftakt bildet die Breisingsche Befragung fortan den Rahmen der Chronologie, während der Mordfall und die Recherchen als ausgedehnter, häufig unterbrochener Rückblick nachgereicht werden. Dieses zweigleisige Arrangement der Handlung ist vor allem im Auftaktdrittel etwas unübersichtlich; und wir wissen lange Zeit gar nicht, wo und warum Odenthal ihre Waffe abgefeuert hat.

Schnell lernen wir aber Menschen kennen, die im beruflichen Kontext zur Rechtsanwältin stehen und die Leerstellen füllen: Den übergriffigen Call-Center-Betreiber Piet Sievert (Matthias Lier, Angst im Dunkeln), seine verzweifelt um das Sorgerecht für ihren Sohn kämpfende Angestellte Marie Polat (Emma Nova, Kein Mitleid, keine Gnade) und deren wenig zimperliche Freundin Luisa Berger (charismatisch: Samia Chancrin), die ebenfalls für Sievert arbeitete und es auf ein stattliches Vorstrafenregister bringt.

Den Filmschaffenden gelingt es, die Spannung auf einem hohen Level zu halten – was auch daran liegt, dass wir mit Blick auf das emotional aufgewühlte „Thelma und Louise“-Pendant einen Wissensvorsprung gegenüber Odenthal und Stern genießen. Und spätestens beim Showdown auf einem verlassenen Acker in der Kurpfalz mausert sich der Tatort gar zum fiebrigen Geiselnahme-Thriller. Da dürfen die obligatorischen Scherereien mit MEK-Leiter Uwe Günther (Rouven David Israel, Pyramide) als hitziges Standardmanöver der Krimireihe nicht fehlen.

Und der 80. Odenthal-Tatort hat einen weiteren guten Moment: Wie einleitend erwähnt, muss die Stelle von Ex-Assistentin Keller nachbesetzt werden. Die unbeholfen organisierten Bewerbungsgespräche sorgen in diesem Krimi zwar für Entschleunigung, aber auch für Lacher – etwa dann, wenn Stern den Bewerbenden harmlose Fragen stellt und die sich direkt für die Ausgangstür empfehlen. Dass gleich ein halbes Dutzend Kandidaten stundenlang auf dem Flur darauf wartet, wenige Minuten für eine Assistenzstelle mit Überstundengarantie vorsprechen zu dürfen, ist allerdings ziemlich (arbeits-)weltfremd – gerade die Gen Z lässt sowas im Jahr 2024 kaum noch mit sich machen. Das ist ihr gutes Recht.


STERN:
Zehn Minuten pro Person. Dann sind wir in ’ner Stunde durch.

Bewertung: 7/10


Kommentare

18 Antworten zu „Dein gutes Recht“

  1. Ich würde mir wünschen, jemand hätte sich mit der beruflichen Realität von Anwälten, besonders Anwältinnen, gerade bei den so gut bezahlten und mit wenig Arbeit verbundenen Sorgerechtsverfahren – Mindestlohn wäre super -, und den Basics des Verfahrens- und Vergütungsrechts auseinandergesetzt.

  2. Avatar von Ivanka Glas
    Ivanka Glas

    Überraschend gut. Interessant wie die ganze Geschichte durch viele Puzzles geendet hat. Und, dass die Anwältin ihren Mann erschossen hat war mir sofort klar. Trotzdem, ein sehr gelungener Tatort. Ulrike Folkerts ist immer Garant für gute Tatorte.

  3. Avatar von

    Sehr solide. Mir hat es gut gefallen. Da gebe ich 8/10. Die Story wird im Tatort-Game übrigens noch fortgesetzt.

  4. Avatar von

    Im Grunde ziemlich fade.
    Für Ludwigshafener Verhältnisse allerdings ein guter Tatort.

  5. Avatar von

    Ich war hin und her gerissen. Teilweise hab ich überlegt, auszuschalten, weil mir dieser Typ so auf den Keks ging. Ich hab immer erwartet, dass Frau Kommissarin austickt. Der Schauspieler hätte kaum unsympathischer rüber kommen können. Respekt.

    Letztlich war ich froh, bis zum Ende geschaut zu haben. Hatte man doch irgendwie gehofft, die Anwältin wars und würde ihre eigene Medizin bekommen. Zum Glück sind solche Anwälte in Deutschland nicht tätig, bzw. würde ein Gericht das nicht dulden.

    Rückblickend war es doch sehr spannend gemacht.

  6. Avatar von Jürgen Bülow von Rutzlow
    Jürgen Bülow von Rutzlow

    Besonders spannend fand ich zu sehen, mit welch geringem Einsatz die jungen Leute sich auf die Arbeitsstelle beworben haben. Außerdem Manieren: Fehlanzeige! Das hätte es damals unter Konrad Adenauer nicht gegeben.

  7. Avatar von Markus Kopf
    Markus Kopf

    Ein guter tatort. Umso erstaunlicher, dass eine handwerklich seit Jahren überforderte Protagonistin, die außerstande ist nur eine Situation zu spielen, durch ein kompetentes Ensemble und durch eine interessante Geschichte kompensiert werden kann.

  8. Avatar von Jürgen Bauer
    Jürgen Bauer

    Super Tatort! Die Zweigleisigkeit des Geschehens machte den Tatort durchweg spannend. Das Verhör Breising – Odenthal zeigte köstlich die indirekte Dominanz der Kommissarin durch Mimik und Antworten. Auch die sozialen Themen wurden glaubwürdig beschrieben: wer einmal in die Grube fällt …

  9. Avatar von

    Guter Tatort!

  10. Hochspannender und differenzierter Tatort! Starker Tatort mit Odenthal und Stern. Fand das moralische Kräftemessen mit Sandra Borgmann sehr gut und ambivalent. Und bin gespannt, wie es nun im Präsidium mit den Assistenzfiguren weitergeht.

  11. Gute Story – gut umgesetzt !
    Die Bewerbungsgeschichte war wohl etwas aufgesetzt und wirklichkeitsfremd, ansonsten aber spannend und sehr gut besetzt und gespielt !

  12. Interessante Erzähltechnik.

  13. Wenn das Patriachat tötet.. gute Thematik, wenn auch sehr plakativ.

  14. Avatar von Richard Möbus
    Richard Möbus

    Ich fand ihn auch mitunter spannend trotz der wohl unvermeidlichen Klischees
    Gegenüber den sonstigen Krimis um 815 war er ein Juwel
    Danke dafür

  15. Avatar von Heinz-Otto Zimmermann
    Heinz-Otto Zimmermann

    Endlich wieder ein interessanter und spannender Tatort, mit vielen Facetten, mit vielen interessanten Hintergründen.
    Man sieht, es geht auch ohne nervenaufreibende Ballerei und störende Musik.
    Nach langer Abstinenz ein schöner Tatort-Krimi!

  16. Avatar von Macadoli

    Spannender tatort.
    Unglaubwürdig war lediglich die Bewerbungen für Frau Keller Nachfolgerin. Kommissare stellen nicht ein – läuft immer über die Personalstelle! Ernsthaft!
    Mir persönlich war es zuviel, dass Frau Borgmann wieder mitspielte. Wie oft noch? Das war ihr 13.Tatort.!!
    Sie spielt wirklich hervorragend, aber es gibt doch so viele Darsteller, die auf Engagements warten.

  17. Laaaangweeeeilig!!!

    1. Sehe ich auch so.

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