Folge 1284
15. Dezember 2024
Sender: WDR
Regie: Janis Rebecca Rattenni
Drehbuch: Sascha Arango
So war der Tatort:
(Be-)Trügerisch.
Genauer gesagt: versicherungsbetrügerisch. Denn Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) schicken sich diesmal an, einen aufwändigen Versicherungsbetrug aufzuklären. Anders als wir ahnen sie zu Beginn des Krimis aber noch nicht, dass sie es mit keinem gewöhnlichen Mordfall zu tun haben, und sie kennen auch den Mörder eines renommierten Rechtsanwalts noch nicht: Wie wir in den Auftaktminuten erfahren, handelt es sich beim Täter um den vermeintlich verstorbenen Jonas Karl Prätorius (Christian Erdmann, Tyrannenmord), dessen vorgetäuschtes Ableben seiner Gattin Doreen (Cordelia Wege, Borowski und der Wiedergänger) dank einer Lebensversicherung eine hübsche Millionensumme eingebracht hat.
Für Drehbuchautor Sascha Arango, der schon herausragende Tatort-Folgen wie Der kalte Tod aus Ludwigshafen oder Borowski und der stille Gast aus Kiel geschrieben hat, ist der Verzicht auf das Whodunit-Konstrukt sehr typisch: Die Täterfrage stellt er im Tatort fast nie. Dass er knapp 30 Jahre nach seinem Debüt für die Krimireihe tatsächlich mal für einen Tatort aus Münster verantwortlich zeichnet, könnte man spöttisch Perlen vor die Säue nennen – schließlich laufen die Krimikomödien aus Westfalen seit Ewigkeiten auf Autopilot, holen aber die besten Quoten. Der Vorgänger Unter Gärtnern knackte wieder mühelos die 12-Millionen-Marke.
Gleichzeitig ist Man stirbt nur zweimal aber der kurzweilige Beweis dafür, dass Thiel und Boerne durchaus noch originelle Krimis spielen können, wenn man sie in einer klugen Geschichte agieren lässt: Unter Regie von Janis Rebecca Rattenni, die bereits den mittelmäßigen Münster-Tatort Ein Freund, ein guter Freund inszenierte, entpuppt sich der 1284. Tatort als reizvolle Kreuzung aus humorvollem Howcatchem, cleverem Versteckspiel und emotionalem Ehedrama. Die spektakulär von einer Steinskulptur durchbohrte Auftaktleiche des Anwalts Oskar Weintraub (Nils Brunkhorst), der vom untergetauchten Prätorius in dessen Haus über eine Brüstung gestoßen wird, gibt dabei den Startschuss der Ermittlungen.
Die Filmschaffenden verzichten in der Folge über weite Strecken auf den für Münster sonst obligatorischen Klamauk und Slapstick, was sehr erfreulich ist. Ein bisschen Zeitgeist und Political Correctness müssen dann aber doch sein: Das deutsche Sprachbild hat sich in den letzten Jahren unabhängig von Genderdebatten gewandelt – sehr zur Verwunderung Thiels und sehr zur Genugtuung Boernes, der in der Rechtsmedizin wie immer von Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch) unterstützt wird und der in gewohnt hochnäsiger Manier mit schier unerschöpflichem Allgemeinwissen glänzt.
Was Man stirbt nur zweimal trotz solcher bemühter Momente und einiger Logiklöcher zu einem so reizvollen Krimi macht, ist seine völlige Unausrechenbarkeit. Mutet der Auftakt mit seinem offen vorgetragenen Versicherungsbetrug und dem Beseitigen des mitwissenden Anwalts noch klassisch an, dreht sich der Film schon bald nicht mehr nur um die Frage, ob Thiel und Boerne dem Ehepaar Prätorius das Handwerk legen können. Viel interessanter gestaltet sich das angespannte Verhältnis des straffälligen Pärchens: Während Prätorius nach zweieinhalb Jahren Versteckspiel im Keller seine Freiheit genießen und mit der Kohle durchbrennen will, scheint seine Gattin darüber weit weniger erfreut.
Klar, der Krimititel könnte ein dicker Spoiler sein, in welche Richtung sich die Geschichte entwickelt. Ob Prätorius tatsächlich stirbt oder seine Ehefrau nicht in viel größerer Gefahr schwebt, bleibt aber bis in die Schlussminuten offen. Vor thematisch und dramaturgisch ähnlich gelagerten Folgen wie Borowski und der Wiedergänger (mit einem verschwundenen Ehemann) von 2024 oder dem Leipziger Tatort Niedere Instinkte (mit einem versteckten Verlies im Keller) von 2015 muss sich der Film daher nicht verstecken. Beide stammen ebenfalls aus Sascha Arangos Feder und standen vielleicht ein Stück weit für Man stirbt nur zweimal (dessen Titel an die 007-Reihe angelehnt ist) Pate.
Dass der überraschend gelungene Münster-Tatort am Ende nicht ganz mit den Highlights der Krimireihe mithalten kann, liegt an anderen Schwächen: Während Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (drittletzter Einsatz: Mechthild Großmann) und Herbert „Vaddern“ Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) recht elegant in die Geschichte integriert sind, wirkt Kollege Mirko Schrader (Björn Meyer) oft wie das fünfte Rad am Wagen. Die Figur wird, vom Showdown einmal abgesehen, einfach nicht gebraucht: Boerne übernimmt neben dem Kerngeschäft in der Rechtsmedizin und Vorträgen als Sachverständiger auch die Spurensicherung, die Opferbetreuung, Observationen und SEK-Einsätze. Warum? Weil er’s kann und weil das Publikum es sehen will.
Dennoch ist Man stirbt nur zweimal eindeutig die beste Folge aus Münster nach dem grandiosen Limbus. Sie überzeugt als Krimidrama und auch die Pointen landen meist im Ziel: Alberich etwa schläft mit einer „Rest in Peace“-Schlafmaske, während Boerne in Gefangenschaft weniger um sein Überleben, als vielmehr um die Oper besorgt ist, die er am Abend eigentlich hätte besuchen wollen.
Bewertung: 7/10
Abschied: Alle Infos zum Ausstieg von Mechthild Großmann
Drehspiegel: So geht’s 2025 im Münster-Tatort weiter
Ausblick: Dieser Tatort läuft am nächsten Sonntag
Schreibe einen Kommentar