Folge 1301
21. April 2025
Sender: NDR
Regie: Viviane Andereggen
Drehbuch: Georg Lippert
So war der Tatort:
Niedersächsisch-hanseatisch.
Der Crossover-Tatort Im Wahn bringt nämlich zwei Figuren zusammen, die sich in der Krimireihe noch nie über den Weg liefen, obwohl sie geografisch sehr nah beieinander ermitteln: Der in Hamburg heimische Bundespolizist Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) wird nach seinem vielgelobten Kloster-Tatort Schweigen diesmal nach Hannover abkommandiert. Dort trifft er aber nicht etwa auf die frühere (und neue) LKA-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler), die nach ihrem Versagen in Der Fall Holdt 2017 vorübergehend nach Göttingen strafversetzt wurde und zukünftig wieder an der Leine ermittelt (weitere Informationen), sondern auf deren Göttinger Ex-Kollegin Anaïs Schmitz (Florence Kasumba).
Über die Hintergründe dieser seltsamen Figurenrochade hielt sich der NDR bedeckt – und wirklich einleuchten will sie nicht. Schmitz, die zum letzten Mal für die Krimireihe im Einsatz ist (weitere Informationen), wird Falke ebenso zur Seite gestellt wie Yael Feldman (Peri Baumeister, Borowski und der stille Gast) von der Kripo Hannover und wirkt von Beginn an wie das fünfte Rad am Wagen: Sie stellt sich tatsächlich mit dem Satz „Ich bin hier vor allem als Touristin dabei!“ vor und bleibt bei geringer Screentime die Antwort auf die Frage schuldig, was sie außer bedeutungsschwangeren Allgemeinplätzen beitragen kann. Feldman hingegen ist ein Gewinn – sie ist die typische, ortskundige Einweg-Co-Ermittlerfigur, die wir auch aus vielen Lindholm-Folgen kennen.
Dass die Direktorin Gabriele Seil (Anna Stieblich) beim Zusammenstellen ihrer Einsatztruppe in Hannover auf ein dreiköpfiges Ermittlerteam setzt, ist aber auch angesichts des Kernthemas dieses Krimis nicht so recht schlüssig: Statt Falke, Feldman und Schmitz zu dritt umfassende Recherchen betreiben zu lassen, nimmt eine Künstliche Intelligenz ihnen nämlich den Großteil der Arbeit einfach ab. Die KI der börsennotierten Firma KROISOS ermittelt in Rekordzeit einen Hauptverdächtigen: den psychisch kranken René Kowalski (Mirco Kreibich, Die Rache an der Welt), der am Hauptbahnhof wahllos zwei Menschen erstochen haben soll. Die Indizien sind erdrückend, doch Falke geht das zu schnell – er vertraut lieber menschlicher Intelligenz.
Die Chancen und Risiken von Künstlicher Intelligenz und Big Data sind im Tatort längst nichts Neues mehr; sie bereiteten den Kriminalisten unter anderem im Stuttgarter Tatort HAL von 2016, im Münchner Tatort KI von 2018 oder im Kieler Tatort Borowski und das ewige Meer von 2024 ziemliches Kopfzerbrechen. Neu ist aber, dass sie hier unter Steuerung es eifrigen IT-Profis Finn Jennewein (Thomas Niehaus, Nicht als die Wahrheit) gewinnbringend auf Seiten der Ermittelnden zum Einsatz kommt – und diese sich wohl oder übel mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die KI vielleicht sogar den besseren Job macht.
Während sich die Möglichkeiten der KI für manchen Technikverweigerer futuristisch lesen mögen, sind sie es im Jahr 2025 keineswegs, und dennoch erzählt Drehbuchautor Georg Lippert (Die goldene Zeit) eine Geschichte relativ weit fernab der Realität. Von der Machbarkeit, aus Funkzellen-Logins, Smartphone-Bewegungsdaten und Social-Media-Posts zusammengewürfelte Daten binnen kürzester Zeit in ganz konkrete Personen umzumünzen, einmal abgesehen, ist dieser SciFi-Tatort nämlich datenschutzrechtlich wenig glaubwürdig: Ehe ein solches Verfahren in Deutschland für eine Ausnahme oder gar dauerhaft zugelassen würde, wären Politik, Gerichte und Datenschützer wahrscheinlich jahrelang beschäftigt.
Im Wahn scheitert aber vor allem als Krimi – und das liegt in erster Linie an der schwachen, weil schon eine Stunde vorm Abspann vorhersehbaren Auflösung der Täterfrage eines dritten und vierten Todesfalls. Neben dem paranoiden René Kowalski (eindeutig unschuldig), seiner motivlosen Schwester Nora (Maria Dragus, Die Pfalz von oben) und dem ehrgeizigen Journalisten Moritz Staub (Garry Fischmann) gibt es im 1301. Tatort nämlich nur noch eine weitere Nebenfigur, die verdächtig viel Raum im Drehbuch bekommt und sich Falke gegenüber sehr unsympathisch benimmt. Der Twist auf der Zielgeraden verpufft dadurch wirkungslos: Wer ihn nicht kommen sieht, dürfte noch nicht viele Tatort-Folgen geschaut haben.
Inszeniert wird das Ganze aber handwerklich solide: Regisseurin Viviane Andereggen, die auch bei den bei den zwei Zürcher Erstlingen Züri brännt und Schoggiläbe am Ruder saß, setzt dabei auf eine finstere Atmosphäre und spärliche Belichtung. Düster vertont, aber mit zwei nervtötend künstlichen NDR2-Radio-Einspielern verunstaltet, hat der Tatort durchaus spannende Momente – unterm Strich funktionieren aber weder das Thema, noch das Figurentrio wirklich gut. Die Dialoge klingen oft hölzern oder lassen die Substanz vermissen. Und die pathetische Schlussbotschaft dieses Krimis hätte wohl sogar ChatGPT origineller hinbekommen.
Bewertung: 4/10
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