Folge 1279
10. November 2024
Sender: NDR
Regie: Katharina Bischof
Drehbuch: Katharina Adler, Rudi Gaul
So war der Tatort:
Klima- und KI-kritisch.
Nach dem Öko-Krimi Borowski und das Meer von 2014 und dem Nordfriesland-Tatort Borowski und das Land zwischen den Meeren von 2018 widmet sich der ähnlich betitelte Tatort Borowski und das ewige Meer nämlich gleich zwei vieldiskutierten Themen der 2020er Jahre: der Klimakrise und der Künstlichen Intelligenz. Und bedient sich dabei realer Vorbilder: Zwar ist es 2024 um Fridays for Future etwas ruhiger geworden, die KI aber ist dank ChatGPT, Midjourney & Co. in aller Munde. Keine vier Wochen vor der TV-Premiere des Kieler Krimis wurde zudem bekannt, dass die Mutter eines 14-Jährigen, der von einer KI in den Suizid getrieben wurde, gegen das Chatbot-Start-up Character.ai vor Gericht zieht.
Pünktlich zur Weltklimakonferenz 2024 legen die Drehbuchautoren Katharina Adler und Rudi Gaul, die bereits die tollen Stuttgarter Tatort-Folgen Videobeweis und Vergebung arrangierten und die Regie diesmal Katharina Bischof (Hackl) überlassen, den Finger also auf den Puls der Zeit: Aus der FFF-Bewegung wird im 1279. Tatort ein Dutzend junger Menschen, die sich das Verhindern der Klimakatastrophe auf die Spruchtafeln schreiben und an der Kiellinie nicht nur Müll auflesen, sondern auch Todesfälle in den eigenen Reihen zu beklagen haben. Binnen kurzer Zeit ertrinken gleich drei junge Menschen in den Fluten der Ostsee.
Ob es sich bei ihrem Ableben um Morde oder Suizide handelt, müssen Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) und seine Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) herausfinden, und bei einem Wettlauf gegen die Zeit weitere Tote verhindern. Dazu startet Borowski einen nicht ganz glaubwürdigen, aber gewinnbringenden Undercover-Einsatz bei den jungen Aktivisten, die sich vorwiegend aus vegetarischen Studierenden rekrutieren: Dass der Salamibrötchen-Käufer zwei Generationen älter ist und am Klimawandel mehr Mitschuld trägt als die jungen Menschen, steht seinem Engagement nicht im Wege. Die junge Überfliegerin Leonie Mewes (Johanna Götting) sieht darin eher einen Vorteil.
In der zweiten Filmhälfte rückt die Klimakrise als Herzstück des klugen Themenkrimis in den Hintergrund, während sich der Film zum Cyberthriller mit Sci-Fi-Elementen mausert. Die KI drängt sich buchstäblich in den Vordergrund, und damit der kaum von echten Menschen zu unterscheidende Avatar namens Zenaida (stark: Milena Tscharntke, Unsichtbar): Ähnlich wie im gleichnamigen Ludwigshafen-Tatort aus dem Januar 2024 machen die Filmschaffenden aus ihrer (Nicht-)Identität lange Zeit ein Geheimnis. Ist die Katze aus dem Sack, bricht sich ein beängstigendes Zukunftsszenario Bahn. Was tun, wenn eine mächtige KI erkennt, dass der Mensch die größte Bedrohung für die Erde darstellt? Mit Blick auf den erwähnten Todesfall in Florida ist diese Vorstellung vielleicht realer, als sie der Gegenwart gut tut.
Dennoch schießt der an den Münchner Fall KI von 2018 erinnernde Tatort etwas über sein Ziel hinaus: Warum die hadernde Entwicklerin Sofia Hoffmann (Pauline Fusban, Schau mich an) ihrer erstaunlich digitalaffinen Großmutter Antonella (Tatja Seibt, Der sanfte Tod) eine Art Safe House installiert hat, will nicht recht einleuchten, ist aber zumindest der Spannungskurve im Finale dienlich. Anderswo werden für die filmisch knifflige Umsetzung technische Machbarkeiten ignoriert: Wendet sich die freidrehende Zenaida erstmal gegen ihre Schöpferin (und die ganze Menschheit), erscheint sie plötzlich nicht nur auf jedem Smartphone und Screen, sondern gar auf der Stockwerksanzeige des Fahrstuhls (!) im Präsidium, den der klaus-trophobische Klaus Borowski zweimal betritt.
Hauptdarsteller Axel Milberg, der auf den 46. Biberacher Filmfestspielen bei der Preview des Krimis mit dem Ehrenbiber für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, wird so beim finalen Psychoduell gegen die Künstliche Intelligenz ganz anders gefordert als in seinen bisherigen zwanzig Dienstjahren (mehr Infos zu seiner Nachfolgerin hier). Die Gespräche mit Sahin, der neuen IT-affinen Kollegin Paula Rinck (Thea Ehre) und seinem Vorgesetzten Roland Schladitz (Thomas Kügel) laufen dafür weitestgehend auf Autopilot. Beim konsequent zugespitzten Schlussakkord verliert der Cyber-Tatort zudem die Bodenhaftung – es fällt nicht leicht, sich auf diesen surrealen Showdown einzulassen.
Stellenweise wirkt Borowski und das ewige Meer, der mit Textzeilen aus Gabriela Mistrals Gedicht „Der Tod des Meeres“ gespickt ist, auch etwas belehrend: Wer im Jahr 2024 immer noch nicht begriffen hat, dass der Globale Süden am stärksten unter den Auswirkungen des Klimawandels leidet, dem oder der ist wohl auch mit einem Tatort nicht mehr zu helfen. Die zweifellos richtige (und wichtige) Schlussbotschaft des Films gerät ebenfalls kitschig: Den Appell, dass wir das Schicksal unseres Planeten selbst in der Hand haben, hat man in ähnlicher Form auch schon vorm Abspann unzähliger Tier-Dokumentationen gehört.
Bewertung: 6/10
Abschied: Alle Infos zum Ausstieg von Axel Milberg
Drehspiegel: So geht es in Kiel weiter
Ausblick: Dieser Tatort läuft am nächsten Sonntag
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