Folge 1304
1. Juni 2025
Sender: ORF
Regie: Rupert Henning
Drehbuch: Rupert Henning
So war der Tatort:
Radikal-libertär.
Das Wiener Duo Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser), das kurz nach der TV-Premiere des Vorgängers Messer bedauerlicherweise für 2026 seinen Abschied ankündigte, bekommt es bei seinem viertletzten Einsatz nämlich mit gewaltbereiten Staatsfeinden, schwurbelnden Verschwörungsideologen und querdenkenden Demokratiegegnern zu tun. In Zeiten, in denen Demokratien selbst in Staaten ins Wanken geraten, in denen man das nie für möglich gehalten hätte, ist Wir sind nicht zu fassen! damit nicht nur ein spannender, sondern auch ein sehr relevanter Tatort – und fasst mit der Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Polizeigewalt noch ein zweites heißes Eisen an.
Schon in den Auftaktminuten setzt der Krimi ein Setting, das Erinnerungen an den lange Zeit unaufgeklärten Tod von Benno Ohnesorg im Jahr 1967 weckt: Was damals erheblich zur Teilradikalisierung der Studentenbewegung beitrug und als Schlüsselmoment für die Gründung der RAF gilt, findet im 1304. Tatort sein Pendant im Tod von Jakob Volkmann (Tilman Tuppy). Der staats- und systemkritische junge Mann, der sich für die Kampfbereite Außerparlamentarische Opposition (KAPO) engagierte, hatte an einer unangemeldeten Demo vorm Burgtheater teilgenommen und wurde dort ermordet. Gerichtsmediziner Prof. Werner Kreindl (Günter Franzmeier), gegenüber Eisner gewohnt schnippisch, stellt später ein Sedativum im Blut des Toten fest.
Nach der hektisch arrangierten Ouvertüre samt ersten Erkenntnissen am Tatort und spektakulären Helikopter-Aufnahmen folgt dann etwas, das sich wenige Wochen zuvor auch im (zu Recht) vielkritisierten Schwarzwald-Tatort Die große Angst beobachten ließ: Die aufgeheizte und aggressive Stimmung unter den Demonstrierenden erhält neue Nahrung und schwappt schnell auf die Einsatzkräfte und Polizisten über, die sich im ersten Filmdrittel pausenlos anmotzen und bei anstrengenden Revierkämpfen in die Parade fahren. Die Exekutive rückt das stellenweise in ein wenig professionelles Licht: Nur weil Wutbürger in den sozialen Medien wutbürgern, muss man sich ja nicht davon anstecken lassen – ganz im Gegenteil.
Auch ein zweites Manöver in der Geschichte von Regisseur und Drehbuchautor Rupert Henning (Virus), der zum fünften Mal für einen Austro-Tatort am Ruder sitzt, erleben wir in der Krimireihe bei weitem nicht zum ersten Mal: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der anfangs kooperative Staatsschutzkollege Gerold Schubert (Dominik Warta, dritter Auftritt nach Schock und Krank), der den Ermordeten als V-Mann unter seine Fittiche genommen hatte, die Höflichkeiten einstellt und den Ermittlern Knüppel zwischen die Beine wirft. Einleitend darf der Szenekenner Eisner aber noch ein wenig die Welt des Widerstands erklären.
Wir sind nicht zu fassen! greift das Motto der Demonstrierenden im Krimititel auf und kommt als zeitgemäßer und temporeicher Politthriller daher: Kaum sind Eisner und Fellner abgedampft, fliegen Molotow-Cocktails auf ihre Kollegin Meret Schande (Christina Scherrer), die wenige Monate zuvor ein Kind auf die Welt gebracht hat. Dass Messer, der einige Monate später gedreht wurde und bereits das Zahnen ihrer Tochter thematisierte, in der TV-Ausstrahlung vorgezogen wurde, fällt erzählerisch nicht ins Gewicht. Ähnlich wie in Was ist das für eine Welt agiert Schande nicht nur als Sidekick und Stichwortgeberin, sondern zitiert etwa Joseph Goebbels und begibt sich an vorderster Front mit Pflaster am Hals in Lebensgefahr.
Angesichts der für Tatort-Verhältnisse etwas überdimensionierten Staatsstreich-Story und den anstrengenden Grabenkämpfen, bei denen auch der Vorgesetzte „Ernstl“ Rauter (Hubert Kramar) und der herrische Einsatzleiter Markus Schuch (Wolfgang Oliver) mitmischen, gerät der eine Stunde lang als Whodunit angelegte Kriminalfall aber bisweilen in den Hintergrund: Als der Tatort zum Schlussakkord vor den Toren Wiens ansetzt (um leider noch einen kitschigen Epilog samt berühmtem Churchill-Zitat nachzureichen), dürften Teile des Publikums schon wieder vergessen haben, wer den toten Volkmann auf dem Gewissen hat. In diesem Politkrimi geht es nicht um die kleinen Fische, sondern ums große Ganze.
Die mit unverbrauchten Gesichtern besetzten Nebenfiguren lassen uns im Übrigen relativ kalt: Katja Ralko (Julia Windischbauer), die psychisch labile, schwer gebeutelte Freundin des Verstorbenen, taugt mit ihrer (einst) radikalen Denke weder zur Identifikationsfigur noch zum bemitleidenswerten Opfer, das ins Visier von skrupellosen Gesinnungsgenossen gerät. Und der schon Schattenkabinette planende, staatenlose Obermufti Gejza von Rencz (Michael Weger) kommt zu spät in die Partie, als dass er noch nachhaltig Eindruck hinterlassen würde: Seine eindimensionale Figur kommt über das Klischeehafte nicht mehr hinaus.
Bewertung: 6/10
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