Bild: ARD Degeto Film/SRF/Sava Hlavacek

Kammerflimmern

Folge 1308

28. September 2025

Sender: SRF

Regie: Barbara Kulcsar

Drehbuch: André Küttel, Petra Ivanov

So war der Tatort:

Wie ein Schweizer Gegenentwurf zu Crank.

Denn während der gestresste Attentäter Chev Chelios (Jason Statham) im US-Actionthriller von 2006 nach der Injektion eines Cocktails mit irreversiblen Betablockern mit seinem Leben dafür bezahlen müsste, wenn sein Adrenalinspiegel zu stark absinkt, führt eine hohe Herzfrequenz in Kammerflimmern zum baldigen Tod: Rund 2.400 Patientinnen und Patienten, die ein ICD-Gerät der fiktiven Firma LauberCardio unter ihren Rippen tragen, schweben nach einer Cyberattacke auf die sensible Software der eigentlich lebensrettenden Implantate in Lebensgefahr. Schlägt das Herz zu oft, setzt es einen meist tödlichen Stromstoß.

Zu den Bedrohten zählt – zufälligerweise – auch Madeleine Ott (Babett Arens), der wir nach ihrem Auftritt im Zürcher Tatort Rapunzel ein zweites Mal begegnen: Die Mutter der angemessen besorgten Kantonspolizistin Tessa Ott (Carol Schuler) trägt ein solches Gerät in sich, hat sich aber für ein paar Tage auf einer einsamen Berghütte einquartiert und ist für Warnungen ihrer Tochter nicht zu erreichen. Über 2.000 Lebensbedrohte scheinen dem Autorenduo André Küttel und Petra Ivanov, das erstmalig ein Tatort-Drehbuch beisteuert, nicht genug zu sein – es muss auch unbedingt noch eine persönlich betroffene Ermittlerin her, um die Spannungskurve künstlich zu steigern und das TV-Publikum für sich zu vereinnahmen.

Originell ist das nicht, und auch beim Blick auf die Figuren ergibt sich kein überzeugendes Bild: Da gibt es die sensationslüsterne Reporterin Paula Bianchi (Annina Walt, Zwischen zwei Welten), die eine klickträchtige Story wittert und journalistische Standards hintenanstellt. Oder den gewieften, sozial isolierten Profi-Hacker Albin Fischer (Sven Schelker, Borowski und das verlorene Mädchen), der natürlich in einer finsteren, heruntergekommenen Wohnung haust. Eine arrogante Rechtsanwältin, die den Ermittlerinnen zum Wohle ihrer Mandaten kühl in die Parade fährt. Und nicht zuletzt den profitgierigen Medizintechnik-Konzern, der illegal nachhalf, wenn es Schäden zu beklagen gab und die Zahlen für die Aktionäre nicht stimmten.

Abgegriffene Klischees und undifferenzierte Kapitalismuskritik haben wir im im Tatort aus dem Mutterland von Pharma-Weltkonzernen wie Roche oder Novartis schon oft gesehen (etwa in Schoggiläbe und Risiken mit Nebenwirkungen), und auch diesmal schwingen die Filmschaffenden um Regisseurin Barbara Kulcsar (Neugeboren) die Keule. Etwa in der Sequenz, in der Staatsanwältin Anita Wegenast (Rachel Braunschweig) dem aufgewühlten Konzernchef Kilian Berger (Elias Arens), der seinen eigenen Bruder Simon (Martin Vischer) in seiner Firma anstellt, bei einer Befragung im Präsidium auf den Zahn fühlt.


WEGENAST:
Ex-Angestellte berichten, sie hätten unter Spardruck gelitten und ständig Überstunden schieben müssen.

BERGER:
Ich bitte Sie, das ist freie Marktwirtschaft! Wettbewerb. Biste da nicht auf Zack, biste weg.

WEGENAST:
Es geht also um Geld. Und nicht um Menschen.

Auf dem Papier stellt Kammerflimmern zudem einen neuen Rekord für die meisten Leichen der Tatort-Geschichte auf: Stolze 56 Tote sind am Ende zu beklagen, den bisherigen Rekord hielt der Meilenstein Im Schmerz geboren mit „nur“ 47 Toten. Genauso gut könnten es in Zürich aber auch 200 oder 300 Tote sein – die große Zahl lässt uns in ihrer Dimension kalt, weil wir den allermeisten Opfern in diesem auf spektakulär getrimmten Krimi gar nicht nahekommen. Nur wenige Tote werden gezeigt und die Zahl wird einfach erwähnt, mit bedeutungsschwangerer Miene, ohne dass Einzelschicksale – von Tessa Otts Mutter abgesehen – näher beleuchtet würden. Der Platz in den Tatort-Annalen bleibt eine Randnotiz.

Die fehlende emotionale Substanz sollen das hohe Erzähltempo, permanente Split-Screen-Montagen und die hohe Zahl an Todesopfern auffangen – ein Versuch, der auf diesem Sendeplatz selten funktioniert hat und der auch schon den actiongeladenen Folgen mit Nick Tschiller (Til Schweiger) Nägel in den Sarg hämmerte. Es fehlt die Tiefe. Zumindest der schwer zu erahnende Plottwist auf der Zielgeraden stimmt aber ein wenig versöhnlich. Gleichzeitig wirken andere Sequenzen fast aberwitzig: Bei einer Durchsuchung der Firmenzentrale lassen sich die Beamten derart dämlich austricksen, dass sich einem die Nackenhaare aufstellen. Und Tessa Otts überzeichnet-genervten Vater Gustav (Oscar Bingisser, Die Musik stirbt zuletzt) im Smoking (!) vom Opernbesuch gen Berghütte zu jagen, ergibt ein ziemlich absurdes Bild.

Dass Ott und ihre Kollegin Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) sowie der (über-)eifrige IT-Experte Noah Löwenherz (Aaron Arens) dem für die Cyberattacke Verantwortlichen überhaupt auf die Spur kommen, hat im Übrigen zwei Gründe, und die sind wenig glaubwürdig: Zum einen hat der angeblich so gewiefte Hacker praktischerweise eine romantische Ader und ein Faible für versteckte Botschaften, die der Kripo in die Karten spielen. Und zum anderen wird im 1308. Tatort wieder der gute alte Drehbuchkniff bemüht, eine Kommissarin auf gut Glück nochmal eine Wohnung durchsuchen zu lassen, die die SpuSi schon gefilzt hat: Man könnte ja doch noch etwas Übersehenes finden.

Bewertung: 4/10


Kommentare

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10 Antworten zu „Kammerflimmern“

  1. Mehr Schwachsinn geht wohl nicht mehr.
    Tolle Kommunikation….Fuck….Fuck… Fuck.
    Schade das ich nicht mitgezählt habe.
    Wieder vergeudete Zeit an TV.

  2. ich schließe mich den obigen Gedanken über schwarzen Löcher im Plot an und habe die leise Vermutung, wir werden in einem Klischeewald Zeuge, wie es denn nun sein wird, wenn KI also jetzt auch beim Drehbuch Schreiben bzw Geschichten Entwickeln seine helfende Hand ausstreckt und dankend eingeladen wird.. Eine Folge aus der Serie: Geschichten aus der Datenbank

  3. Für die Bewertung des Tatorts hing viel daran, wie sehr wir ihn für ernstgemeint halten.
    Ist er komplett ernst gemeint, ist 4/10 noch großzügig. Denn dass bei dem Szenario bei uns Zuschauenden kaum Angst oder gar Herzklopfen (höhö) aufkommt, heißt wohl: Thema verfehlt.

    Als leicht überzogene Krimi-Story zur Unterhaltung konnte ich sie sehr genießen. Darum will ich ihn eher so lesen.

  4. Avatar von Silvia Franke
    Silvia Franke

    Sehr guter Tatort. Ich mag dieses weibliche Ermittlerinnenteam mitsamt dem Schnauzbärtigen ITler. Bitte mehr davon!

  5. Ein bisschen viel Fiktion, aber ein spannendes Thema, gut gespielt … nach vielen grottenschlechten Tatorten im letzten Jahr noch einmal ein Lichtblick.

    Die 4 Punkte in der Eingangsbewertung sind mir zu wenig, ich würde eher in Richtung 6, vielleicht sogar 7 Punkt tendieren.

  6. Avatar von Gregor Koch
    Gregor Koch

    Was mich an diesem Tatort am meisten gestört hat, sind die riesigen Plotlöcher.

    So bleibt völlig unklar, wie die Anstifterin auf die Idee gekommen sein soll, dass der ICD den Tod ihrer Eltern ausgelöst hat, denn sonst ist ja niemand auf die Idee gekommen: nicht die französische Polizei, die den Unfall untersucht hat, nicht der Rechtsmediziner, der die Leichen untersucht hat.

    Und genau deshalb ist es auch völlig unverständlich, warum das Medizin-Unternehmen so einen Aufwand getrieben hatte, um ihre Beteiligung zu verschleiern; schließlich war auch nicht der geringste Schatten eines Verdachtes auf sie gefallen.

    Genau genommen wurde während des gesamten Tatorts gar nicht klar, ob der ICD der Firma überhaupt etwas mit dem Unfall der Eltern zu tun hatte. Wie auch? Es gab ja nicht den geringsten Beweis dafür. Alles, was man wusste, ist, dass das Unternehmen Angst hatte, mit dem Unfall in Verbindung gebracht zu werden, und deswegen ein Releasedatum fälschen ließ. Woher wiederum das Unternehmen von dem Unfall in Frankreich erfahren haben soll, bleibt völlig im Dunkeln.

    Ebenso unklar bleibt, welches denn nun eigentlich der Plan des Täter-Duos gewesen sein soll.
    Die Kund:innen des Unternehmens sollten ein wenig Herzschmerzen bekommen, das Unternehmen dadurch gezwungen werden, auf ein früheres Release downzugraden, dadurch wurden die Computer der Firma verschlüsselt und eine exorbitant hohe Lösegeldsumme gefordert. Und dann? Dass das Lösegeld nicht bezahlt werden würde, war klar; dass die Täter:innen es auch gar nicht haben wollten, ebenso.
    Nach ihrem Plan gab es ja auch eigentlich keinen Grund, es zu zahlen, denn die Kund:innen des Unternehmens sollten ja nur leichte Herzstiche bekommen: kein Grund zur Panik also. Warum dann aber überhaupt die Manipulation der ICDs? Hätte es nicht genügt, die Server der Firma direkt zu verschlüsseln, um sie zu diskreditieren? Sollte damit die Sicherheitslücke demonstriert werden? Als ob nicht jedes System Sicherheitslücken hätte. 100%ige Sicherheit gibt es nicht, nirgendwo.

    Und den Haupttäter mit der Behauptung davon kommen zu lassen, dass nicht er Schuld am Tod der Opfer sei, sondern das Unternehmen, dass in den neun Jahren, in denen er nicht mehr für es tätig war, doch tatsächlich etwas an der Programmierung geändert hat, war schwach. Genauso schwach, wie die – völlig zutreffende – Behauptung des CEOs der Firma, die Krankenkassen seien schuld daran, dass er aufs Geld achten müsste -, unkommentiert zu lassen. Nicht einmal der Tod des Haupttäters wurde ordentlich aufgeklärt: war es Selbstverteidigung? Möglich wärs.

    Am Ende war Kammerflimmern nur eine Parade unsympathischer Nebendarsteller, in der alleine Noah Löwenherz gut dastand; allerdings, ohne dass es jemand anerkannte …

  7. Tatsächlich kann ich der Kritik weitgehend folgen. Den Schaupielerinnen bleibt bei diesem Drehbuch wenig abzuliefern, alles geschieht wie in weiter Ferne, Opfer sind wahllos generiert durch die Beliebigkeit dieser Attacke. EInfach Opfer hochzählen macht noch keinen Krimi für den Zuschauer. Mehr spürbare Tiefe hätte auch den als hektisch agierende Täter inszenierten Bad Guys gutgetan.

  8. Avatar von Stephan Gerold
    Stephan Gerold

    Feministischer Mist.

  9. Die Mutter Millionärin geht zu Fuß den Berg runter, wo doch bekannt ist, dass die Herzfrequenz den tödlichen Stromstoß triggert. Als ob die in CH keine Allradfahrzeuge und Helikopter hätten und sich die Frau diese nicht leisten könnte.

  10. Zu oft „FUCK“ in der Kommunikation. Ansonsten spannender Tatort. Solide und nachvollziehbar bis zum Schluss.

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