Bild: MDR/MadeFor Film/Steffen Junghans

Siebenschläfer

Folge 1310

12. Oktober 2025

Sender: MDR

Regie: Thomas Sieben

Drehbuch: Silke Zertz, Frauke Hunfeld

So war der Tatort:

Gorniaklos.

Und das ist im ersten Dresdner Tatort nach dem Ausstieg von Karin Hanczewski (weitere Informationen) deutlich zu spüren: Oberkommissarin Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) geht in Siebenschläfer nicht mehr mit der seit 2016 von Hanczewski gespielten Ex-Kollegin Karin Gorniak, sondern mit ihrem Vorgesetzten Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) auf Mördersuche. Die entpuppt sich als überraschend harmlose Angelegenheit.

Der Gelegenheitscholeriker, mit dem Winkler rätselhafterweise wieder per Sie ist, gibt sich so handzahm wie selten: Wenig Wutausbrüche, keine unüberlegten Chauvi-Sprüche und auch kaum Hektik, die der diesmal wenig autoritär auftretende Schnabel ausstrahlt. Ein Satz zum Bedauern des recht lieblos ans Ende gepappten Gorniak-Ausstiegs im Vorgänger Herz der Dunkelheit kommt ihm nicht über die Lippen – es ist Winkler, die eine Polizistin am Fundort des unter rätselhaften Umständen ertrunkenen Teenagers Lilly-Marie Reuter (Dilara Aylin Ziem) auf Gorniaks Kündigung aufmerksam macht und Schnabel bei der Gelegenheit diskret darauf hinweist, mögliche Beweisgegenstände am Tatort wohl besser mit Handschuhen anzufassen.

Schnabel fehlen die Basics an der Front, er läuft bisweilen rum wie Falschgeld – da nützt es wenig, dass die Drehbuchautorinnen Frauke Hunfeld (Tödliche Häppchen) und Silke Zertz, die ihr Debüt für die Krimireihe gibt, dem sonst so aufbrausenden Kripochef eine DDR-Jugend andichten, die dem Kernthema dieses Krimis sehr dienlich ist. So wie die tote Lilly, die sich nachts mit ihrem psychisch labilen Ex-Freund Pascal Schadt (Florian Geißelmann) hatte aus dem Staub machen wollen, verbrachte auch Schnabel einige Jahre seiner Kindheit in einem Kinderheim. Auf Spurensuche im Zwangszuhause der Jugendlichen – dem titelgebenden Heim Siebenschläfer – begibt er sich mit ständiger Betroffenheitsmiene.

Es scheint etwas nicht zu stimmen in der Unterkunft, die mit den gleichen Herausforderungen zu kämpfen hat wie viele andere Heime im Jahr 2025: Akuter Fachkräftemangel und ständige Fluktuation in der Belegschaft treffen auf untaugliche Bewerbende, und die schlechte Bezahlung der Erziehenden verträgt sich nur schlecht mit den vielen Überstunden, die das Personal leistet. Eine Situation, die weder den Betreuenden, noch den zu Betreuenden gerecht wird. Aber die Probleme liegen noch tiefer.


SCHNABEL:
Die meisten Heime machen eine hervorragende, ganz wichtige Arbeit, Winkler. Was ist hier schiefgegangen?

Unter Regie von Tatort-Debütant Thomas Sieben arbeitet der Film die bedauerlichen Zustände differenziert und beklemmend heraus, und auch das Spannungsfeld zwischen Eltern, Kindern und Gesellschaft, in dem sich die Jugendämter bewegen, bringt der Krimi schnörkellos auf den Punkt. Exemplarisch zeigt sich das Dilemma am zuständigen Amtsmitarbeiter Torsten Hess (Peter Moltzen, Angriff auf Wache 08), der es niemandem recht machen kann: weder Lillys einst überforderter Mutter Martina Reuter (Milena Dreißig, Die robuste Roswita) noch seiner Frau Anja (Marisa Bach, Der traurige König) oder der Leiterin des Jugendheims, Saskia Rühe (Silvina Buchbauer, Der Kormorankrieg). Den Kindern erst recht nicht.

Als Studie des bereits im Dresdner Tatort Die Zeit ist gekommen beleuchteten Milieus weiß der 1310. Tatort deshalb zu überzeugen – als klassischer Whodunit kommt er über das Mittelmaß allerdings nicht hinaus. Zu formelhaft gestaltet sich das Drehbuch, nach dessen zweiter Leiche man nach einer knappen Stunde die Uhr stellen kann. Und am Ende mündet alles in eine schwache Auflösung, bei der wir beim Miträtseln chancenlos sind: Spät und nur aufgrund schwacher Recherchen im Vorfeld überhaupt übersehen, zaubert das Skript auf der Zielgeraden plötzlich eine Person aus dem Hut, wir bis dato gar nicht kennenlernen durften und deren Motiven das Drehbuch nur noch wenig Beachtung schenkt.

Das ist nicht überzeugend – und dass der viel zu tatverdächtige Rabauke Pascal seine Ex-Freundin nicht auf dem Gewissen hat, dürfte zumindest dem Stammpublikum von Beginn dieses Krimis an ohnehin klar sein. Wer so oft über die Stränge schlägt und im Leben schon so viel ertragen musste, ist im Tatort garantiert kein Mörder. Auch die wenig koscheren Methoden des opportunistischen Psychiaters Lukas Brückner (unterfordert: Hanno Koffler, Was bleibt) sind schon deutlich früher zu erahnen, als es der Spannungskurve gut tut.

Schauspielerisch gibt sich der Fall jedoch keine Blöße: Neben der immer tollen Milena Dreißig setzt auch Jungdarsteller Florian Geißelmann einige Duftmarken. Unterm Strich ist Siebenschläfer dennoch eine kleine Enttäuschung, an Dresdner Highlights wie den Psychothriller Das Nest, den Horrorkrimi Parasomnia oder den vielgelobten Fall Unter Feuer reicht der Tatort bei weitem nicht heran. Bleibt zu hoffen, dass 2026 auch im Ermittlerteam wieder mehr Feuer ins Geschehen kommt: Wie der MDR im September bekanntgegeben hat, stößt im Elbflorenz eine junge Kommissarsanwärterin dazu (weitere Informationen).

Bewertung: 5/10


Kommentare

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11 Antworten zu „Siebenschläfer“

  1. Avatar von Sonja Ebner
    Sonja Ebner

    Hat den Nagel auf dem Kopf getroffen. Aus eigener Erfahrung weiß ich dass es genauso in vielen Kinderheimen so zu geht. Auch in Österreich nicht nur in Deutschland. Überdosierte Medikamente werden zur Ruhigstellung der Kinder verordnet und das nicht nur wegen Unterbesetzung. Es wird an der Zeit dass genau da mehr überprüft wird. Es heißt doch immer die Kinder sind unsere Zukunft.

  2. Avatar von Franz Gnirß
    Franz Gnirß

    Sehr guter Tatort kam ohne große Aktions-Klamauk aus. Fast ein Tatsachenbericht, der aber nur an der Oberfläche kratzte. Ich hoffe der Ein oder Andere wurde durch das Thema sensibilisiert und es ändert sich noch was in unserer Gesellschaft. Ist halt schon traurig, dass so ein Thema zur Unterhaltung herhalten muss. Gute schauspielerische Leistung von Allen.
    10 von 10

  3. Avatar von Der Ronaldo Fan
    Der Ronaldo Fan

    Geiler Tatort, war gut anzusehen.

  4. Avatar von Bettina Gräbner
    Bettina Gräbner

    Seit langen ein Hoch prisantes
    Thema. Ich bin sehr berührt und
    die Akteure haben hier großartiges
    geleistet. Danke für den Fernseh
    Abend.

  5. Der Bewertung kann ich mich voll und ganz anschließen. Ein mittelmäßiger Tatort, aber eine glänzende Schauspielleistung von Florian Geißelmann. Chapeau!

  6. Avatar von Macadoli

    Superkrimi!! Spannend, gute Dialoge, logische Handlung, Ton war bestens und die Schauspieler genial. Beeindruckendes Spiel von Florian Geißelmann!
    10 von 10 Punkte!

    1. Avatar von Angelika

      Für mich einer der besten Tatorte seit langem. Das Spannungsgeld der Helfersysteme (Jugendamt, Jugendhilfe) wurde sehr gut herausgearbeitet und die eigentlich Schutzbedürftigen, nämlich die Kinder, spielen eine zentrale Rolle. Großartige schauspielerische Leistung von Florian Geißelmann!

  7. Avatar von Schneider

    Der Tatort mit dem Chef Schnabel war sehr gut ,er zeigte wahre soziale Kompetenz,Brennpunkte an .Er zeigt Überforderte Instanzen und Machtmissbrauch auf und ich glaube soweit her ist das Thema nicht .Klasse Tatort

  8. Avatar von Angelika

    Was für ein Tatort. Der ging so richtig unter die Haut. Ich hoffe nur, daß die Story nicht an einen wahren Fall angelehnt war.
    Spiegelt aber unser „armes“ Deutschland wieder. Gespart wird immer bei den bedürftigen: Kinder, Alte und Kranke!
    Viel zu wenig Erzieher, Lehrer oder Pflegepersonal.
    Und wer sich für diese Berufe entscheidet, muss auch noch mit viel zu wenig Lohn sich zufrieden geben.
    Wann wacht unsere Politik endlich auf, und merkt, worauf es ankommt.
    Wer helfen will wird ausgenutzt, und der Wasserkopf stopft sich die Taschen voll.

    1. Avatar von Franz Gnirß
      Franz Gnirß

      Alles auf den Punkt gebrach,kann ich nur unterschreiben.

  9. Hat mich gefühlsmässig berührt, auch wenn es etwas aufgesetzt wirkte, daß Schnabel selber im Kinderheim war.

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