Folge 1313
9. November 2025
Sender: SWR
Regie: Didi Danquart
Drehbuch: Annette Lober
So war der Tatort:
Angelehnt an berühmte Liebespaare – etwa Romeo und Julia oder Bonnie und Clyde.
Das deutet schon der Filmtitel Mike & Nisha an, und ähnlich wie im Kölner Tatort Pechmarie von 2006, im Kölner Tatort Kartenhaus von 2016 oder im Mainzer Tatort Blind Date von 2021 müssen die Hauptkommissarinnen Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) in diesem Tatort ein Gaunerpärchen zur Strecke bringen, das über Leichen geht. Doch davon wissen die Ermittlerinnen lange Zeit gar nichts.
Anders als wir bekommen sie die fantastische Eröffnungssequenz dieses Krimis nämlich nicht mit: Nach einem kurzen Prolog, in dem Odenthal und Stern durch ein Krankenhaus flitzen, verlagert sich das Geschehen zunächst für 20 Minuten in ein Haus und eine trügerische Vorstadtidylle. Emmi Schaub (Judith Hofmann, Ätzend) und ihr verbitterter Mann Gustav (Bruno Cathomas, von 2017 bis 2019 als Kripochef im Frankfurter Tatort zu sehen) sitzen auf gepackten Koffern für den Wohnmobil-Urlaub, empfangen aber noch Besuch: Ihr als Graffitisprayer aktiver Sohn Mike (Jeremias Meyer) bringt nicht nur Blumen und eine Katze, sondern auch seine deutsch-iranische Freundin Nisha Nevarin (Amina Merai) mit. Nach dem steifen Essen verkündet er stolz, dass die beiden sich verlobt haben und ein Kind erwarten.
Das bringt seinen feindseligen, zu Nisha maximal unfreundlichen Vater in Sekunden auf die Palme: Erst vergreift sich Gustav im Ton, dann an Nisha, und zwei Minuten später liegen Gustav und Emmi tot in ihrem Wohnzimmer, brutal erschlagen von Mike & Nisha. Eine satirisch-entlarvende, verstörende Ouvertüre, die uns perplex auf die Mattscheibe starren lässt – so etwas kennen wir in der Krimireihe eher aus der Feder von Sascha Arango, der etwa den Kieler Tatort Borowski und das Glück der Anderen oder Borowski und das Haupt der Medusa schrieb. Drehbuchautorin Annette Lober illustriert bei ihrem Tatort-Debüt einen dramatischen Kontrollverlust, der auf wahren Begebenheiten basiert, und schockierte damit sogar Ulrike Folkerts und Lisa Bitter (wie uns die beiden im Interview verrieten).
Schon vor dem Eintreffen der Ermittlerinnen entführt uns Lober in ein Setting, das wir etwa aus dem Frankfurter Tatort Wendehammer von 2016, dem Kölner Tatort Nachbarn von 2017 oder dem Freiburger Tatort Die Blicke der Anderen von 2022 kennen: eine Nachbarschaftshölle, in der jeder jeden kennt und beäugt – egal, ob er oder sie wie der argwöhnische Reichsbürger Erwin Ramthor (herrlich schmierig: Wolf Bachofner, Baum fällt) mit seinem Hund herumschnüffelt oder wie die neugierige Likörchen-Trinkerin Gerlinde Wagner (witzig: Anna Stieblich, Im Wahn) in den eigenen vier Wänden die betagte Mutter pflegt. Das Doppelmörder- Pärchen muss sich mitten drin nicht nur der drohenden Entdeckung, sondern auch der Schlagfertigkeit ihres rassistischen Nachbarn stellen.
So bravourös und erfrischend der 1313. Tatort startet, so stetig versandet diese Originalität allerdings. Auf dem Präsidium, in dem die zumindest zur Polizistin ausgebildete Kollegin Mara Hermann (Davina Chanel Fox) und der aus der Verwaltung zur Mordkommission gewechselte Nico Langenkamp (Johannes Scheidweiler) sich mit ihrem Wunsch nach Außeneinsätzen überbieten, läuft vieles nach Schema F. Eine Zeugin, die etwas gehört hat, ein Pärchen, das bei der Befragung alles leugnet – und leider auch ein paar überinszenierte Kitschmomente, in denen Odenthal und Stern etwa im Dämmerlicht auf dem Flur stehen und bedeutungsschwanger über ein „dunkles Geheimnis“ spekulieren. Hier verfällt der im Vergleich zu den 2010er-Jahren bemerkenswert wiedererstarkte Krimi aus der Kurpfalz in alte Zaunpfahl-Muster.
Seine stärksten Momente hat Mike & Nisha unter Regie von Didi Danquart (Im Sog des Bösen), der erstmals seit 2009 wieder bei einem Tatort am Ruder sitzt, immer dann, wenn er nicht im Präsidium, sondern im und ums Schaub-Haus herum spielt. Dort stellen sich die Bonnie-und-Clyde-Pendants, die sich für das Verschwinden der zwei Leichen und das Verwischen der Blutspuren an der Wand etwas durchaus Kluges einfallen lassen, bisweilen allerdings denkbar ungeschickt an: Vielleicht nicht die klügste Idee, Verräterisches im Garten zu verbuddeln, wenn der Nachbar einen Schäferhund hat und grenzenlosen Zugang zum Grundstück genießt.
Auch die Dynamik geht dem klassischen Howcatchem im True-Romance-Stil, bei dem wir von Beginn an um die Täterschaft des titelgebenden Paares wissen, zunehmend ab: Ehe die Jagd auf Mike & Nisha so richtig begonnen hat, ist sie auch schon wieder vorbei und mündet in ein recht offenes, irgendwie unbefriedigendes Ende. Ein Verwandtschaftstwist, der schon in der Eröffnungssequenz für den aufmerksamen Teil des Publikums zu erahnen ist, liest sich zudem überambitioniert – dem von seinem Sohn genervten, cholerischen Vater hätte man seine Überreaktion bei der Begegnung mit Nisha auch ohne diesen Drehbuchkniff abgekauft.
So steht unterm Strich ein vor allem in der ersten Hälfte außergewöhnlicher, mit zunehmender Spieldauer aber immer weniger mitreißender Tatort, bei dem trotz der vielen guten Ansätze mehr drin gewesen wäre – daran ändern auch die gekünstelt in die Dialoge eingeflochtenen Shakespeare-Zitate nichts, mit denen neben Lena Odenthal auch Nico Langenkamp um sich wirft. Der hat dafür einen köstlichen Außeneinsatz in einem Hotel zu verzeichnen – wozu so ein Kantinenausweis doch gut sein kann.
Bewertung: 6/10
Nachgefragt: Unser Interview mit Ulrike Folkerts und Lisa Bitter
Drehspiegel: So geht es im Ludwigshafen-Tatort weiter
Ausblick: Dieser Tatort läuft am nächsten Sonntag


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