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Janus

Folge: 564 | 18. April 2004 | Sender: HR | Regie: Klaus Gietinger

Bild: HR/Bettina Müller
So war der Tatort:
Pseudopsychologisch.
Denn die Frankfurter Kommissarin Charlotte Sänger (Andrea Sawatzki), die einleitend bei der Beerdigung von ihren ermordeten Eltern Abschied nimmt und beim Leichenschmaus direkt zur nächsten Leiche gerufen wird, versucht sich in diesem Tatort als Psychologin – so wie es auch die Filmemacher tun, die damit aber (anders als die nah am Wasser gebaute Ermittlerin) auf ganzer Linie scheitern. 

Janus ist der zu diesem Zeitpunkt vierte und zugleich mit Abstand schwächste Krimi mit Sänger und ihrem Kollegen Fritz Dellwo (Jörg Schüttauf) – und das hat mehrere Gründe. Beginnen wir nicht mit den überzeichneten Tatverdächtigen oder dem phasenweise in die unfreiwillige Komik abdriftenden Drehbuch von Klaus-Peter Wolf (Licht und Schatten), sondern mit den enttäuschenden Jungschauspielern: Nach dem Mord an einer Schulpsychologin sind wir live im Klassenzimmer dabei – bekommen dort aber schauspielerische Leistungen geboten, die der besten Sendezeit im deutschen Fernsehen kaum würdig sind. Auch die hölzernen, stellenweise mit Präteritum und Konjunktiv gespickten Dialoge („Sie sagte, ich sei ein Instrument seiner Rache!“) hört man im Alltag eher selten.
Noch deutlich ärgerlicher gestaltet sich der Auftakt der Ermittlungen: Weder der anstrengende Staatsanwalt Dr. Scheer (Thomas Balou Martin) noch Kripochef Rudi Fromm (Peter Lerchbaumer) schreiten nennenswert ein, als die um ihre Eltern trauende Sänger bei der blutigen Tatort-Besichtigung spontan und eigeninitiativ anbietet, an der Schule in die Bresche zu springen und als Interimsnachfolgerin des Mordopfers undercover auf Täterfang zu gehen. 

SÄNGER:
Ich könnte das machen.

FROMM:

Aha, ja das ist die Lösung! Im Grunde genommen könnte man kaum verantworten, eine vollkommen unbedarfte Psychologin dieser Gefahr auszusetzen. Das ist ja ein bisschen so, als wenn man ein einzelnes Schaf auf ein Wolfsrudel treibt.


Bitte was? Eine just um ihre Eltern gebrachte Polizistin ohne Psychologiestudium oder einschlägige Erfahrung im Umgang mit Jugendlichen auf ein aus Internatsschülern bestehendes „Wolfsrudel“ anzusetzen, ist eher nicht die naheliegende Lösung – sondern vielmehr so konstruiert, dass sich die Balken biegen. Geradezu abenteuerlich wird es im letzten Filmdrittel, in dem das Leben der suizidgefährdeten Anne Walter (Nadja Bobyleva, Borowski in der Unterwelt) am seidenen Faden hängt und Sänger – wie könnte es anders sein – einen erstklassigen Job an der Front macht. Der Erfolg gibt ihr eben Recht. 
Ehe ihre Ermittlungen im Internat, die in ein reizvolles Versteckspiel hätten münden können, so richtig an Fahrt gewinnen, sind sie aber schon wieder vorbei: Mit dem von Jürgen Tarrach (Gestern war kein Tag) fast karikaturesk gespielten Intensivspanner Karl Lichti ist ein Hauptverdächtiger für den Mord schnell ausgemacht, weil er in Bedrängnis mehrere Kurzschlussreaktionen begeht – von seiner nicht minder überzeichneten Rechtsanwältin, einem nervtötenden Klischee auf zwei Beinen, aber mühelos rausgeboxt wird. Als viel zu verdächtiger Kleinkrimineller – so ist das nun mal im Tatort – scheidet er als Mörder ohnehin aus.
Momente wie diese sind zum Haareraufen und liegen weit unter dem meist hohen Niveau  des Hessischen Rundfunks (man denke an den packenden Vorvorgänger Frauenmorde oder spätere Highlights wie Weil sie böse sind), aber im 564. Tatort sind sie eher die Regel als die Ausnahme. Andere, weniger stereotype Figuren bleiben in ihrem Handeln rätselhaft – so etwa die Lehrerin Michaela Metzner (Barbara Philipp, ab 2010 regelmäßig als Magda Wächter im Tatort aus Wiesbaden zu sehen), die Sänger erst das Feld überlässt und später ohne Not den Schwanz einzieht.
Auch die privaten Nebenkriegsschauplätze sind zwar für die am Main ohnehin relativ intensive Charakterzeichnung der Hauptfiguren ein Gewinn, für die Spannung und Realitätsnähe aber nicht: Weil Dellwo keine Wohnung mehr hat (und pausenlos telefonieren muss), quartiert er sich bei Sänger ein – und man kann die Uhr danach stellen, dass sich das im entscheidenden Moment noch auszahlt. 
Als klassischer Whodunit zum Miträtseln funktioniert Janus unter Regie von Klaus Gietinger (Unschuldig), der zum letzten Mal einen Tatort inszeniert, durchaus passabel, aber als Psychogramm scheitert der Film an seinen eigenen Ansprüchen völlig: Mit dem undurchsichtigen Lehrer Felix Klär (Roman Knizka, Das Phantom) gibt es noch eine weitere Figur, deren Psyche wir uns spät, aber dafür sehr intensiv nähern dürfen. Und spätestens hier wird überdeutlich: Man hätte besser einen echten Psychologen in die Produktion dieser missglückten Tatort-Folge einbeziehen sollen  – denn angesichts der haarsträubenden Küchenpsychologie und Plattitüden an allen Ecken und Enden retten die wenigen guten One-Liner am Ende nur wenig.

DELLWO:
Kolumbus hat Amerika auch nicht gesucht und trotzdem gefunden.


Bewertung: 3/10


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