Folge: 563 | 12. April 2004 | Sender: WDR | Regie: Manfred Stelzer
Bild: WDR/Uwe Stratmann |
So war der Tatort:
Sehr gut gealtert.
Denn auch Jahrzehnte nach seiner Erstausstrahlung hat dieser Kölner Tatort nichts, aber auch gar nichts von seiner hohen Relevanz eingebüßt: So wie der Ludwigshafener Tatort Schöner sterben, der ein Jahr zuvor ausgestrahlt wurde, spielt der clever betitelte Tatort Hundeleben über weite Strecken in einem Altenheim – aber anders als der harmlose Fadenkreuzkrimi mit Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) machen die Filmemacher die Missstände im deutschen Pflegesystem auch gnadenlos zum Thema.
Regisseur Manfred Stelzer (Der doppelte Lott) und Drehbuchautorin Nina Hoger, die sich in den Jahren davor und danach als erfolgreiche TV-Darstellerin einen Namen machte, legen den Finger in die Wunde der Gesellschaft und arbeiten schonungslos heraus, was es heißt, im Jahr 2004 auf der letzten Lebensstation für alte, demente und bisweilen sehr aufmüpfige Senioren zu arbeiten. 40 Mittagessen in 20 Minuten, Arsch abwischen für 5 Euro die Stunde, statt eines Dankeschöns pausenlos Widerworte: Das ist der Alltag von Tatjana Riegelsberger (Anneke Kim Sarnau, Die Heilige), die sich im Altenheim „Abendrot“ abrackert und kurz vor dem Nervenzusammenbruch steht.
Die ebenso überlastete wie unterbezahlte Pflegerin ist der Dreh- und Angelpunkt des Whodunits, in dem die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) einen Mord aufklären müssen: Vor den Toren des Heims kommt die Ärztin Dr. Rose Lang (Kerstin Thielemann, Des Teufels langer Atem) zu Tode, die allein gelebt hat – auch wenn Ballauf das bei der Begehung ihrer Wohnung nicht wahrhaben will. Denn wer attraktiv ist, kann in Ballaufs Gedankenwelt kein glückliches Single-Leben führen.
BALLAUF:
Weißt du, was ich merkwürdig finde? Hier gibt’s überhaupt keinen Hinweis auf ’ne Liebesbeziehung. Keine Spur von ’nem Mann. Ich mein: Frau Dr. Lang ist doch ne attraktive Frau gewesen. Die muss doch ’ne Beziehung gehabt haben.SCHENK:
Du hast ja auch keine. Außer zu mir natürlich.
Während Ballauf hier negativ durch aus der Zeit gefallene Rollenvorstellungen auffällt, hat Schenk in diesem Tatort gleich zweierlei Sorgen: Das ist zum einen seine Großmutter Margot (Helga Göring, Schlaf, Kindlein, schlaf), die er zufällig noch vor dem Mord in dasselbe Altenheim gesteckt hat, vor dem kurz darauf die Leiche liegt. Und da ist „Luxemburg“, der Hund der Toten, den er nicht im Tierheim verkümmern lassen, sondern mit zu sich nach Hause nehmen will. Sehr zum Ärger seiner Frau, die ihn direkt wieder rausschmeißt und die das Publikum auch in dieser Tatort-Folge nicht zu Gesicht bekommt.
Diese Drehbuchmanöver sind zugleich die größten Schwächen des ansonsten so hervorragend gelungenen und mit einigen starken One-Linern gespickten Krimis: Schenks Oma im Altenheim zu platzieren, eröffnet zwar erzählerische Möglichkeiten, weil vieles hinter dem Rücken der Kommissare stattfindet, aber es wirkt auch verdammt konstruiert. Die zahlreichen Luxemburg-Szenen hingegen, die Ballauf den Nerv rauben und Schenk Sympathiepunkte bei Tierfreunden einbringen, fallen in ihrer Tonalität eher in die Kategorie Vorabend.
Ansonsten bringt der 563. Tatort aber fast alles mit, was einen guten (Kölner) Tatort ausmacht: Neben einer kultverdächtigen Handballsequenz, in der Freddy Schenk im BVB-Trikot das Tor hütet, sind da auch die starken Figuren und Darsteller, ein kniffliger Fall mit überraschender Auflösung und ein überzeugend filetiertes, gesellschaftliches Reizthema, das durch Schenks renitente Oma und die Überlastung von Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) in den Erfahrungen der Ermittler gespiegelt wird.
Der späteren Rostocker Polizeiruf-110-Kommissarin Anneke Kim Sarnau bietet das reichlich Spielraum zur Entfaltung – ob man ihrer Figur auch noch die Ehekrise mit dem ebenfalls als Pfleger tätigen Peter Riegelsberger (Frank Köbe, Das Nest) andichten musste, darf allerdings bezweifelt werden. Allein der unerfüllte, pausenlos thematisierte Kinderwunsch der beiden hätte Stoff für einen eigenen Tatort geboten – so wirkt die Geschichte doch etwas überfrachtet. Richten die Filmemacher den Blick hingegen ins Altenheim, entfaltet das Krimidrama seine Wucht und lässt uns trotz der kitschigen Schlusspointe mit keinem guten Gefühl zurück.
In den Jahren danach schlagen etwa der erstklassige Bremer Tatort Im toten Winkel, der sich der häuslichen Pflege widmet, oder der grandiose Stuttgarter Tatort Anne und der Tod, der eine verzweifelte Altenpflegerin in den Fokus rückt, thematisch in ähnliche Kerben – und man könnte fast meinen, in der Zeit dazwischen hätte sich mit Blick auf den Pflegenotstand in Deutschland gar nichts verändert. Wohl denen, die Menschen haben, die sich kümmern.
BALLAUF:
Wenn ich mich nicht mehr bewegen kann oder dement bin, dann gibst du mir eben die Spritze.SCHENK:Und wenn ich auch dement bin?BALLAUF:
Dann haben wir’n Problem.
Bewertung: 7/10
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