Folge: 326 | 18. Februar 1996 | Sender: SWF | Regie: Peter Schulze-Rohr
Bild: SWR/Nowak |
So war der Tatort:
Alpin.
Ausgangspunkt der hier besprochenen Tatort-Folge ist nämlich – der Titel deutet es bereits an – die traumhaft-winterliche Kulisse eines süddeutschen Alpenpanoramas. Doch sind es nicht etwa die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) oder die Berner Ermittler Philippe von Burg (Laszlo I. Kish) und Markus Gertsch (Ernst C. Sigrist), die 1996 in Schneefieber auf Verbrecherjagd gehen. Das hätte geografisch nahe gelegen, der SWF schickt aber die junge Ludwigshafener Ermittlerin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) in verschneite Gefilde und damit auf teilweise ungewohnt rutschiges Terrain. Doch schlittert damit auch der Krimi in filmische Abgründe?
Mitnichten. Der Tatort beginnt vielmehr mit einem perfiden Attentat: Ein Unbekannter schießt mit einem Gewehr auf einen fahrenden Zug und verletzt einen Fahrgast tödlich. Odenthal, die bei ihrem achten Einsatz von Kollegin Armbruster (Annette Felbert, Märchenwald) und Assistent Maurer (Alexander Held, Im Schmerz geboren) unterstützt wird, ist sich sicher: Bei dem Schützen handelt es sich um jenen anonymen Bahnerpresser, der seit geraumer Zeit mit Anschlägen auf Züge gedroht und sein Vorhaben nun in die Tat umgesetzt hat. Von der Presse wird der Attentäter als „Robin Hood“ betitelt, da er Teile des erpressten Geldes an Bedürftige weitergibt.
Um den Todesschützen dingfest zu machen, organisiert die Kripo eine aufwändige Geldübergabe. Sie wird in bester James-Bond-Manier (schräges Rucksack-Gadget inklusive) vorbereitet und anschließend als actionreiche und rasante Verfolgungsjagd im verschneiten Schwarzwald inszeniert. Im Vorfeld ruft das bei Nordlicht Odenthal Sorgenfalten hervor.
ODENTHAL:Wer von unseren Leuten kann denn Skifahren?ARMBRUSTER:Der Berlus, glaube ich. Der ist doch aus München.
ODENTHAL:
Ich bin auch aus Kiel und kann nicht segeln.
Parallel dazu erzählt der Film die Geschichte eines befreundeten Quartetts rund um den Apotheker Klaus Münter (Jörg Schüttauf, ermittelt von 2002 bis 2010 als Kommissar Fritz Dellwo im Tatort aus Frankfurt), der vom eigenen Skihotel in den Rocky Mountains träumt. Seine Ehe mit Frau Manu (Christina Plate, Bienzle und der Biedermann) kriselt. Stattdessen macht ihm seine attraktive Angestellte Vivi Saalbach (Anne Kasprik, Die Falle) eindeutige Avancen, was zu Spannungen zwischen den Eheleuten führt. Münters aalglatter Rechtsanwalt Dr. Marc Weinhauer (großartig: Günther Maria Halmer, Gestern war kein Tag), dessen bayrischer Dialekt den süddeutschen Einschlag zusätzlich unterstreicht, ist der Vierte im Bunde.
Bis zu diesem Zeitpunkt scheint der Film von Regisseur und Tatort-Urgestein Peter Schulze-Rohr, der neben dem Odenthal-Erstling Die Neue auch für die erste Tatort-Folge Taxi nach Leipzig verantwortlich zeichnet, klassischen Mustern der Krimireihe zu folgen: Als die Polizei einen anonymen Hinweis erhält und Münter mit einer größeren Menge Geld aufgreift, scheint die Sache klar. Doch Drehbuchautor Fred Breinersdorf (Gold) legt in der Folge gekonnt falsche Fährten, unterläuft Erwartungen und führt uns passend zum winterlichen Ambiente ein ums andere Mal aufs Glatteis.
Ein großes Plus ist im 326. Tatort die Vielschichtigkeit der Charaktere. Die Filmemacher nehmen sich viel Zeit für ihre Figuren und sorgen dafür, dass sich hinter Odenthals Rücken ein attraktives Katz-und-Mausspiel entspinnt, bei dem alle Beteiligten ein eigenes Ziel verfolgen. Bestes Beispiel ist die Figur Klaus Münter: In einer Sequenz reinigt er seelenruhig eine größere Menge Bargeld, präsentiert sich aber im Verhör mit Odenthal fast bemitleidenswert nervös und überfordert, um dann, in schierer Hilflosigkeit, seinen Anwalt Weinhauer anzurufen. Der sieht das Ganze aber entspannt und bringt lieber seine Vorliebe für den Steve-McQueen-Klassiker Thomas Crown ist nicht zu fassen zum Ausdruck.
So richtig schlau werden wir aus solchen Momenten oft nicht, aber genau das macht diesen Tatort so interessant. Je länger er dauert, desto stärker rücken die Beteiligten im Umfeld des Apothekers in den Fokus. Daraus entsteht eine Dynamik, die den Film bis zum Finale trägt. Im zweiten Teil wandelt er sich gar zum fiebrigen Gerichtsthriller. Der hohe Unterhaltungswert resultiert auch aus dem hervorragenden Cast, angeführt vom grandios aufspielenden Günther Maria Halmer. Er lässt mit seiner Performance als verschlagener Anwalt die übrigen Akteure fast blass aussehen, obwohl sie keineswegs enttäuschen.
Schneefieber ist damit unterm Strich eine der stärksten Odenthal-Folgen überhaupt. Der Tatort überzeugt als überraschender und doch stringent erzählter Krimi, der sich nicht zuletzt durch sein raffiniertes Drehbuch, die augenzwinkernden 007-Anleihen und die tolle Besetzung von der grauen Masse abhebt. Das eine oder andere Logikloch ist dabei zu verschmerzen – und auch über die peinliche Schleichwerbung für Slimfast (man beachte die Sequenzen in der Apotheke) müssen wir tapfer hinwegsehen.
Bewertung: 8/10
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