Folge 1273
22. September 2024
Sender: SWR
Regie: Rudi Gaul
Drehbuch: Bernd Lange
So war der Tatort:
Aktenreich.
Und das passt hervorragend zu einer Tatort-Stadt, die in den 2020er Jahren innerhalb der beliebtesten deutschen Krimireihe wohl die meisten angestaubten, aber auch selten wirklich enttäuschende Krimis produziert hat: Ad Acta ist so ein Freiburger Tatort, der sich stilistisch kaum von den unzähligen 08/15-Regionalkrimis im Ersten abhebt und in seinem Arrangement genauso gut aus den 90er Jahren stammen könnte. Von technischen Details abgesehen, scheint die Zeit im Schwarzwald stehengeblieben zu sein.
Im Polizeipräsidium, in antiquierten Braun- und Grüntonen eingerichtet, stehen zwar immerhin Flatscreens – aber da liegen auch Dutzende staubige Akten auf den Schreibtischen von Hauptkommissarin Franziska Tobler (Eva Löbau) und ihrem Kollegen Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner), deren Recherchen Greenhorn Andi Beuter (Daniel Friedl) nach Die Blicke der Anderen) zum zweiten Mal unterstützt. Ihren Kaffee kochen sie in einer Filterkaffeemaschine. Und als Toblers krebskranker Vater Bruno (Michael Hanemann, Die Ferien des Monsieur Murot), ein pensionierter Polizist, in der Mitte des Films mit seinem Ex-Kollegen Jürgen Meisner (Bernhard Leute, Tyrannenmord) reinschneit, fühlt der sich gleich pudelwohl.
Eine alte Akte, deren Seiten die traditionelle Badische Aktenheftung fixierte, ist dann auch das Herzstück des klassischen Kriminalfalls, den Tobler und Berg bei ihrem dreizehnten Einsatz aufklären müssen: Tobias Benzinger (Jan Liem), Anwalt einer Kanzlei mit zwielichtigen Mandanten und hoher Erfolgsquote, wird von einem Motorradfahrer kaltblütig erschossen. Kurz zuvor hatte er ihm die Akte übergeben. Die Spur führt das Ermittlerduo in die Kanzlei seines Stiefvaters Rainer Benzinger (August Zirner, Glaube, Liebe, Tod) und damit zu einem Fall, der vor vielen Jahren Ad Acta gelegt wurde – mit einem irritierend milden Urteil für den Mörder, der einen Familienvater erschoss. Es folgt, was folgen muss: Die Sache wird neu aufgerollt.
Der 1273. Tatort startet als Whodunit, wandelt sich aber bald zum Howcatchem. Denn mit der Analyse des alten Falls und einem Besuch beim Sohn des damaligen Opfers, Jan Kreutzer (Sammy Scheuritzel, Schau mich an), offenbart sich früh, dass die Auflösung der Täterfrage nur über ihn und seine zugeknöpfte Nachbarin Svenja Haag (Rosa Lembeck) führen kann. Da der maskierte Motorradfahrer einen zweiten Anschlag verübt – auf Rainer Benzinger, seine entfremdet wirkende Frau Maki (Akiko Hitomi) und den Mann seines erschossen Stiefsohns, Nader Mansor (Hassan Akkouch, Kleine Prinzen) – scheiden die drei als Mörder/in aus.
Unter Regie von Rudi Gaul (Vergebung) und Drehbuchautor Bernd Lange (Hochamt für Toni) kommt bei der Mördersuche aber nur punktuell Spannung auf: Zu vorhersehbar ist das Geschehen, zu konventionell die Erzählform. Kurios ist eine Vernehmung (!) auf der Intensivstation. Traurige Flashbacks in die Vergangenheit wechseln sich ab mit Erkenntnissen in der Gegenwart, in die sich Bruno Tobler auf Wunsch seiner Tochter einklinkt und im Präsidium direkt an ihrem Schreibtisch Platz nimmt. Irgendwas scheint aber zwischen ihm und Berg nicht zu stimmen – und genau aus dieser offenen Frage zieht der Schwarzwald-Tatort am Ende fast seinen größten Reiz.
Während die Nebenfiguren – unter ihnen der Dialekt sprechende Rocker „Batzi“ Erhardt (Sascha Maaz, Der rote Schatten) und die undurchsichtige Richterin Stefanie Wirtz (Theresa Berlage, Tödliche Flut) – sich selten von ihrer Schablonenhaftigkeit lösen, wirkt der Wettstreit zwischen Tobler und Berg um die vakante Position der Dezernatsleitung eher bemüht: Beide haben in ihrer Gemütlichkeit keine Lust auf den Posten, werden aber dazu gedrängt – Berg von Tobler und Tobler vom Vater. Der früheren Kripochefin Cornelia Harms (Steffi Kühnert) wird derweil nicht mal eine Abschiedsfolge zuteil (weitere Informationen zu ihrem Ausstieg hier). Das Justizsystem macht keine gute Figur und die Kriminalisten hadern mit ihrer Rolle – das hat es in der Krimireihe schon oft deutlich drastischer gegeben (etwa in Nie wieder frei sein).
Und so ist das Aufregendste an Ad Acta am Ende die Horizontale, die der SWR im Breisgau eröffnet: Wird etwa im Tatort aus Saarbrücken, Berlin oder Dortmund schon seit Jahren folgenübergreifend erzählt, soll dies in Zeiten von Netflix & Co. nun wohl auch den Folgen aus Freiburg serielles Leben einhauchen. Der abschließende Cliffhanger lässt offen, was Berg einst auf seinem Hof unter einer Betonplatte vergraben und welche Rolle dabei Bruno Tobler in seiner Funktion bei der Kripo gespielt hat. In den nächsten Folgen wird die Story weitergeführt – und gipfelt sogar in einer Geiselnahme (weitere Informationen).
Bewertung: 5/10
Drehspiegel: So geht es im Schwarzwald-Tatort weiter
Ausstieg: Alles zum Tatort-Ende von Steffi Kühnert
Ausblick: Dieser Tatort läuft am nächsten Sonntag
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