Folge 1275
6. Oktober 2024
Sender: BR
Regie: Max Färberböck, Danny Rosness
Drehbuch: Max Färberböck, Stefan Betz
So war der Tatort:
Schwermütig.
Trotzdem ist nicht nur der zehnte, sondern auch der letzte Franken-Tatort mit Hauptkommissarin Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel), die seit Der Himmel ist ein Platz auf Erden stets an der Seite ihres Kollegen Felix Voss (Fabian Hinrichs) ermittelte. Und er wird vom selben Filmemacher inszeniert wie ihr Debüt von 2015: Am Ruder sitzt wieder Max Färberböck, der mit Stefan Betz (Kehraus) auch das Drehbuch zu diesem wuchtigen Krimidrama schrieb und sich die Regie mit dem bis dato meist als Regieassistent fungierenden Danny Rosness teilt.
Färberböck hat schon zahlreiche weitere Tatort-Folgen aus Nürnberg mit einer Handschrift arrangiert, die erneut unverkennbar ist: Auch die 1275. Ausgabe der Krimireihe kennzeichnet etwa die ausgeblichene und sepiageprägte, aber nie leblose Farbgebung. Ein rätselhafter Prolog ist gänzlich in Schwarz-Weiß-Bildern gehalten, wichtige Schlüsselszenen finden mit reduzierter Beleuchtung statt. Mimik der Menschen verwischt in schattigen Gesichtern, große Teile der Handlung spielen nachts, in schummerigen Räumen oder in Tiefgaragen.
Trotzdem ist dennoch – oder gerade deswegen? – ein atmosphärisch dichter, von Schwermut und Trauer durchzogener Film, der sich im Schlussdrittel zur spektakulären Westernballade wandelt und mit einem stimmungsvollen 60er-Jahre-Soundtrack untermalt ist. Gleichzeitig stimmen die Figuren einen melancholischen Abgesang an: Während Ringelhahn bei ihrer rührenden Verabschiedung im Polizeipräsidium leise die wunderbaren Zeilen von The Sounds of Silence intoniert, wird sie bei einer Fahrt im Dienstwagen fast philosophisch.
Färberböck erzählt – und das passt hervorragend zu seinem kunstvollen Stil – keinen Whodunit aus dem Baukasten, sondern eine Kreuzung aus aufwühlenden Abschiedsdrama, klassischem Howcatchem und fränkischem Clan-Thriller, in der sich verfeindete Sippschaften auf offener Straße das Blei um die Ohren ballern: In Trotzdem prallen zwei Familien aufeinander, die in ihrer Trauer und ihrem Verlust vereint, in ihrer Wut und Schuld aber voneinander getrennt sind.
Da sind auf der einen Seite Maria (Anne Haug, Borowski und der Schatten des Mondes) und Lisa Kranz (Mercedes Müller, Borowski und das Haus der Geister): Ihr geliebter Bruder Lenny wurde für eine Tat eingesperrt, die er nicht begangen hat. Er begeht Suizid. Auf der anderen Seite die Angehörigen des wahren Täters: Stephan Dellmann (Justus Johanssen, Kein Mitleid, keine Gnade) ging damals straffrei aus. Als die trauernden Schwestern ihn nun kurzerhand selbst richten, sinnen Dellmanns Vater Karl (Fritz Karl, Der Traum von der Au) und seine beiden Brüder Ben (Ben Münchow, Tschill Out) und Tim (Julius Gruner) auf Rache – sehr zum Leidwesen von Mutter Katja (Ursina Lardi, Videobeweis), die die Wogen zu glätten versucht.
Voss und Ringelhahn laufen dem Geschehen meist hinterher: Wir genießen gegenüber den Kriminalisten einen Wissensvorsprung und sind live dabei, wenn Dellmann vom Balkon seiner Luxuswohnung stürzt oder der mit Lisa liierte, kultverdächtige Problemlöser Maik (Florian Karlheim) mit Croissants und Cappuccini in Marias Dessousladen aufschlägt, um den reumütigen Täterinnen seine Dienste anzubieten. Das hat was von Harvey Keitels Winston Wolf in „Pulp Fiction“ und sorgt für die lautesten und bizarrsten Zwischentöne in einem Tatort, der eine Stunde lang angenehm unaufdringlich daherkommt – sieht man von sehr verzichtbaren Einblendungen wie „TAG 2“ einmal ab.
Erst im mitreißenden Schlussdrittel schalten alle Beteiligten zwei Gänge hoch: Aus zwei Leichen werden sechs, weil die Affekthandlung der Kranz-Schwestern ein teuflisches Dominospiel auslöst, das auf einem Acker in der fränkischen Pampa sein furioses Finale findet. Voss und Ringelhahn, die in ihrem Abschiedsfall passend zum dritten Franken-Tatort Am Ende geht man nackt noch eine irritierende Nacktszene hat, geraten dabei zwischen die Fronten, sind aber zumindest auf der Zielgeraden mittendrin statt nur dabei.
Von ihrer Kollegin Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) lässt sich das diesmal nicht behaupten: Während Rechtsmediziner Dr. Schatz (Matthias Egersdörfer) wie schon in Hochamt für Toni fehlt und von SpuSi-Chefin Esmeralda Schmuck (Lisa Sophie Kusz) vertreten (oder beerbt?) wird, scheint Eli Wasserscheid keinen einzigen Drehtag mit Dagmar Manzel und Fabian Hinrichs gehabt zu haben. Goldwasser meldet sich stets telefonisch, in Ringelhahns Ausstandssequenz wird sie auffällig unauffällig hineingeschnitten. Ein ähnlich seltsames Verhüllungsspiel ließ sich einige Monate zuvor im Ludwigshafener Abschiedstatort Avatar beobachten.
Bewertung: 7/10
Drehspiegel: So geht es im Franken-Tatort weiter
Abschied: Alle Hintergründe zu Dagmar Manzels Ausstieg
Ausblick: Dieser Krimi läuft am nächsten Sonntag
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