Folge 627
2. April 2006
Sender: NDR
Regie: Hannu Salonen
Drehbuch: Orkun Ertener
So war der Tatort:
Geprägt von Wunschkindern und Kinderwünschen.
Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) ist in seinem sechsten Einsatz nämlich nicht nur als Ermittler gefragt, sondern wird auch wieder mit seiner Aufgabe als Teilzeit-Papa konfrontiert: Töchterchen Carla (Neelam Schlemminger) überrumpelt ihn gleich zu Beginn. Sie will mit ihm über Gott sprechen und am Konfirmationsunterricht teilnehmen, benötigt dafür aber seine Einwilligung. Der Vater steht dem religiösen Interesse seiner Tochter allerdings reserviert gegenüber und verweigert ihr die Erlaubnis. Das Verhältnis zwischen Borowski und seiner pubertierenden Tochter wird damit einmal mehr auf die Probe gestellt, ähnlich wie bereits in Stirb und werde oder später in Das Ende des Schweigens.
Der Konflikt steht auf Borowskis Prioritäten-Liste allerdings nicht ganz oben, denn der Auftakt der 627. Tatort-Folge ist diesmal selbst für Kieler Verhältnisse starker Tobak und erfordert die volle Aufmerksamkeit des Kriminalisten: Olaf Brückner (Oliver Stritzel, Hetzjagd) findet seine schwangere Frau Stefanie (Astrid M. Fünderich, Der Name der Orchidee) blutüberströmt in der Badewanne. Sie hat den Angriff einer Unbekannten schwerverletzt überlebt, doch von ihrem Baby fehlt jede Spur. Jemand hat es ihr aus dem Bauch geschnitten (!) und mitgenommen.
Ein in der Tatort-Historie selten gesehenes, ungewohnt brutales Verbrechen, das an eine spätere Szene im Berliner Tatort Das Muli erinnert. Für Borowski und sein Team beginnt damit zugleich ein Wettlauf gegen die Zeit, um das Neugeborene zu finden: Es leidet an einer schweren Krankheit und überlebt wohl nur zwei Tage. Regisseur Hannu Salonen (Tango für Borowski) weiß die fiebrige Suche atmosphärisch dicht in Szene zu setzen und bedient sich beim Altmeister des Suspense, Alfred Hitchcock. Wenn die Polizei die Wohnung einer Verdächtigen stürmt und diese nackt im Badezimmer überrascht, erinnert das etwa an die legendäre Duschszene in Psycho.
Apropos Altmeister: Drehbuchautor Orkun Ertener, der bereits das Skript zum Borowski-Erstling Väter beisteuerte, greift auch in Sternenkinder auf ein bewährtes Konzept zurück, das die Krimis von der Förde schon mehrfach ausgezeichnet hat: In Bezug auf Täterin oder Täter genießen wir einen deutlichen Wissensvorsprung. Die Krankenschwester Liane Marquardt (Claudia Geisler, Familien) freut sich seit kurzem über ein Neugeborenes, verhält sich gegenüber ihrer Nachbarin (Ina Holst, Endspiel) aber seltsam verdächtig. Auch ihr Mann Wolfgang (Hans-Jochen Wagner, ab 2017 als Hauptkommissar Berg im Schwarzwald-Tatort zu sehen), der auf hoher See von der angeblichen Geburt erfährt, schöpft bei seiner Rückkehr schnell Verdacht.
Der Spannung ist das sehr zuträglich; die Filmemacher treiben das Geschehen bis zu diesem Zeitpunkt kontinuierlich auf die Spitze und spielen geschickt mit unseren Erwartungen. Nach gut 45 Minuten geht der temporeichen Inszenierung aber die Puste aus und der Howcatchem wandelt sich zum weniger spektakulären Whodunit. Die Handlung verlagert sich in die Klinik von Professor Martin Sonneborn (Michael Hanemann, Ad Acta), einer Koryphäe auf dem Gebiet der Pränatal-Medizin. Geübte Krimi-Fans ahnen: So weiß wie die Wände der Klinik ist die Weste des Professors und seiner behandelnden Ärztin Dr. Fehlau (Cornelia Schmaus, Nachtkrapp) bei weitem nicht. Das letzte Drittel des Films widmet sich dann schließlich – ähnlich wie etwa 1997 das dystopische Science-Fiction-Drama Gattaca – der ethisch-moralischen Frage, wie weit die medizinische Forschung die Entstehung von Leben beeinflussen darf. Ein ehrenwertes Unterfangen, das sensible und kontroverse Thema hätte aber mehr Tiefgang verdient gehabt.
Stattdessen vernachlässigen die Filmemacher den eigentlichen Kriminalfall und widmen sich auf der Zielgeraden verstärkt dem so unnötig wie bemüht wirkenden Nebenschauplatz um Borowskis Assistenten Alim Zainalow (Mehdi Moinzadeh). Er wird unter dem Verdacht, eine terroristische Vereinigung unterstützt zu haben, festgenommen. Borowski kämpft an der Seite von Kriminalrat Roland Schladitz (Thomas Kügel) um die Freilassung seines „Ziehsohnes“ und auch mit sich selbst:
Worauf das am Ende hinausläuft, ist leicht vorherzusehen. Und so gerät der Abgang des stets unglücklich agierenden Zainalow nicht nur zu melodramatisch; er passt auch zu seinen bisher schwachen Auftritten im Kieler Tatort und ist dementsprechend die logische Konsequenz. Die Zukunft im hohen Norden gehört anderen Figuren, etwa Kriminalpsychologin Frieda Jung (Maren Eggert), die diesmal recht blass bleibt.
Sternenkinder ist unterm Strich zwar ein bedrückendes und sensibles Krimidrama mit vielen spannenden Momenten, wirkt mitunter aber überfrachtet. Weniger wäre in diesem Tatort an mancher Stelle mehr gewesen – das gilt auch für die Performance von Claudia Geisler, die in der Rolle als psychisch-labile Kindesentführerin oft zum Overacting tendiert.
Bewertung: 6/10
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