Folge 1194
März 2022
Sender: NDR
Regie: Christoph Stark
Drehbuch: Jochen Bitzer
So war der Tatort:
Elitär.
Tyrannenmord spielt nämlich über weite Strecken im teuren Elite-Internat „Rosenhag“ bei Holzminden, auf das die zahlungskräftige Prominenz aus Politik und Wirtschaft ihre Töchter und Söhne schickt, um sie auf spätere Herausforderungen vorzubereiten – und dessen guter Ruf sich aus der niedersächsischen Provinz bis nach Südamerika herumgesprochen hat.
Jenseits des Atlantiks regiert im fiktiven Staat „Orinaca“ – nicht zu verwechseln mit dem Fluss Orinoco, der offensichtlich Pate stand – ein Diktator namens Mendez, der seinen Sohn Juan (Riccardo Campione) auf die westeuropäische Vorzeigeschule geschickt hat – ganz so, wie es einst der Vater des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-un tat, dessen Sohn angeblich in der Schweiz die Schulbank drückte, oder der Vater des syrischen Diktators Baschar al-Assad, dessen Machterbe einst in London studierte.
Diese realen Despoten bekommen wir in diesem Tatort gar nicht, den fiktiven Autokraten nur für wenige Sekunden zu Gesicht – allein Mendez‘ Gattin Annamaria (Alexandra von Schwerin, Bausünden) lässt sich längere Zeit vor der Kamera blicken. Und ein Stück weit steht das exemplarisch für die substanzlose Geschichte, die Drehbuchautor Jochen Bitzer (Letzte Zweifel) in das übliche 90-minütige Krimikorsett gequetscht hat: Alles ein bisschen zu groß für den Tatort, in dem es bekanntlich nur selten gelingt, internationale Verwicklungen und diplomatische Drahtseilakte mit angemessenem Tiefgang aufzuarbeiten.
In Tyrannenmord ist das nicht anders – die Mängelliste ist mit der uninspirierten und zäh abgespulten Geschichte aber noch nicht abgeschlossen. Dem Tatort fehlt es auch an einer Auftaktleiche – als Juan Mendez aus dem Internat verschwindet, ruft das den Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) auf den Plan, dem es ebenfalls an etwas mangelt: an seiner Partnerin Julia Grosz (Franziska Weisz). Die wird diesmal nur telefonisch oder per Video zugeschaltet und von der Kamera fast nur bis zur Brust eingefangen – der NDR ließ auf unsere Anfrage verlauten, ihre Rolle sei in diesem Tatort „so angelegt“. Wer 1 und 1 zusammenzählen kann, kann sich den Grund dafür denken.
Stattdessen stellen die Filmemacher Falke den vor Ort zuständigen, überschaubar fähigen Oberkommissar Felix Wacker (Arash Marandi) zur Seite – eine recht abgegriffene Kombination, wie wir sie aus vielen Tatort-Folgen mit Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) kennen, die bei ihren Ermittlungen fernab der Heimat Hannover oft von überforderten Landeiern unterstützt wurde und ihre Überlegenheit zur Schau stellen durfte. Den redseligen Wacker straft das Drehbuch mit einfältigen Nachfragen und nervigen Kommentaren auf Soap-Niveau – und per Videocall (!) in Julia Grosz vergucken muss sich der Mann zu allem Überfluss auch noch.
Tyrannenmord ist kein guter Tatort, was nicht nur daran liegt, dass unter hölzerner Regie von Christoph Stark (Roter Tod) zu keinem Zeitpunkt des Films echte Spannung aufkommt: Die Figuren erschöpfen sich in Stereotypen und aus dem reizvollen Mikrokosmos Internat – man denke nur an den grandiosen Bodensee-Tatort Herz aus Eis, der ein sehr ähnliches Setting bietet – vermögen die Filmemacher wenig Mehrwert für die Handlung zu generieren.
Alle tun genau das, was man nach dem Griff in die Klischeekiste von ihnen erwarten würde: Reiche Eltern schauen vorbei, um den Lehrkörper zu kritisieren und ihre verwöhnten Kinder zu tadeln, die verwöhnten Kinder tragen tapfer Schuluniform und üben sich nach Schulschluss in Rebellion, und das Rektoren-Ehepaar Marie (Katarina Gaub, Krieg im Kopf) und Andreas Bergson (Christian Erdmann, Niemals ohne mich) hat vor allem zweierlei im Sinn: die Bewahrung des guten Rufs und die Zahlungseingänge auf dem Bankkonto.
Mit der genervten Innenministerin Johansen (Marlen Ulonska, Adams Alptraum), dem arroganten Richter Bresgott (Markus Gertken, Wer jetzt allein ist) und dem Immunität genießenden Leibwächter Carlos (José Barros) gibt es dann auch noch eine Klischee-Politikerin, einen Klischee-Juristen und einen Klischee-Gangster aus dem Bilderbuch: Carlos prügelt den – natürlich in weißen Tennis-Outfits spielenden – Eliteschülern die gelben Filzbälle um die Ohren und markiert den starken Mann, um sich dann gegenüber Diktatorengattin Mendez kleinlaut und unterwürfig zu geben. Das ist ziemlich dünn, oft kitschig und jederzeit berechenbar – und schon häufig besser erzählt worden.
Auch schauspielerisch lässt der 1194. Tatort das Primetime-Niveau bisweilen vermissen. Zu den echten Lichtblicken im Cast zählen allerdings die stark aufspielende Valerie Stoll (als Hanna) und Anselm Bresgott (als August Finkenberger), die in ihren Rollen als Schüler wacker gegen die Schablonenhaftigkeit ihrer Figuren ankämpfen. Zu retten vermögen sie diesen Krimi letztlich nicht – die vorhersehbare Auflösung tut ihr Übriges, um den Negativtrend nach dem Münsterschen Totalausfall Propheteus und dem schwachen Schweizer Tatort Schattenkinder im März 2022 zu bestätigen.
Bewertung: 4/10
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