Folge 1184
Januar 2022
Sender: SWR
Regie: Rudi Gaul
Drehbuch: Rudi Gaul, Katharina Adler
So war der Tatort:
On tape.
Denn der Videobeweis hält, was der Krimititel verspricht: Im Neujahrstatort 2022 dreht sich alles um ein heimlich gedrehtes Sextape – entstanden nach der Weihnachtsfeier eines schwäbischen Versicherungskonzerns, in dessen Empfangshalle am nächsten Morgen der Tote gefunden wird, dessen Mörder/in es in diesem Krimi zu überführen gilt.
Beim Getöteten handelt es sich um den Firmenangestellten Idris Demir (Ulas Kilic, Tschiller: Off Duty), der Konzernchef Oliver Jansen (Oliver Wnuk, Letzte Tage) in flagranti mit seiner beruflichen Rivalin Kim Tramell (Ursina Lardi, Dunkelfeld) erwischt und das Ganze spontan mit seinem Smartphone dokumentiert hat: Schnell kristallisiert sich im 1184. Tatort heraus, dass hier auch das Mordmotiv der klassisch arrangierten Whodunit-Konstruktion liegen muss, zu der Regisseur und Tatort-Debütant Rudi Gaul gemeinsam mit Katharina Adler auch das mit zahlreichen Basic-Instinct-Anleihen gespickte Drehbuch geschrieben hat.
Was zeigt das Video wirklich?
War der Geschlechtsverkehr so einvernehmlich, wie Jansen ihn schildert, oder war es eine Vergewaltigung, wie Tramell es behauptet? Ist der 28. Tatort mit den Hauptkommissaren Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) eine Neuauflage ihrer tollen Folge Der Mann, der lügt? Oder ist es am Ende doch die Frau, die lügt?
Wieder und wieder sichten die Stuttgarter Ermittler das Tape, lassen das Techtelmechtel und die Tat mit Todesfolge live vor den Augen des Zuschauers auferstehen, entdecken neue Details, die sich interpretieren lassen – doch wirklich voran kommen sie nicht. Auch die neue, etwas bemüht mit einem VfB-Schal kostümierte Auszubildende Stefanie Seiler (Amelie Herres), die Lannert seinen Kaffee bringen und für Bootz einen Hund hüten muss, fragen die Kommissare nach ihrer Meinung – und sind am Ende doch genauso schlau wie vorher.
Lange, aber nie langweilige Verhörsequenzen und das akribische Hinterfragen von Aussagen durch die Ermittler in Kammerspiel-Manier sind dank großartiger Folgen wie Anne und der Tod und dem bereits erwähnten Perspektivwechsel-Krimi Der Mann, der lügt zuletzt zu einer Art Markenzeichen der Beiträge aus dem Ländle geworden – und dieses Erfolgsrezept funktioniert auch im Videobeweis wieder hervorragend, wenn Lannert und Bootz den mutmaßlichen Vergewaltiger und sein angebliches Opfer mit den Aufnahmen konfrontieren.
Zusätzliche Brisanz erhalten die Befragungen dadurch, dass sich Konzernchef Oliver Jansen anwaltlich von seiner ahnungslosen Frau Cleo (Karoline Bär, Wacht am Rhein) vertreten lässt – die darf von seiner Fremdvögelei natürlich nichts wissen. Tramells Vorwürfe hingegen scheinen schon bald nicht mehr so abwegig, wie es nach der ersten Sichtung der Aufnahmen den Anschein haben mag – bei einer Vergewaltigung oder sexueller Nötigung muss eben keine körperliche Gewalt im Spiel sein. Das ist die zentrale wichtige Botschaft, die uns die Filmemacher in Zeiten der #MeToo-Bewegung mitgeben.
Mit Blick auf die zwei Hauptverdächtigen macht Ursina Lardi in ihrer Rolle als labile, nach außen aber stets gefestigte Karrierefrau unterm Strich die etwas bessere Figur: Dem angenehm gegen den Strich besetzten Oliver Wnuk kauft man den einflussreichen, mächtigen Firmenchef nicht immer ab, was aber auch an seinen sonst eher harmlosen TV-Rollen auf Seiten der Guten und vor allem an seiner Ulf-Steinke-Vergangenheit in Stromberg liegen mag.
Zum innersten Seelenleben der alleinerziehenden Tramell, die der gleichen Leidenschaft für alte Wagen frönt wie der von Rückenschmerzen geplagte Lannert, dringen wir erst auf der Zielgeraden durch – und gerade das macht sie so interessant. Während ihr handwerkliches Geschick erfreulicherweise mit verstaubten Rollenbildern bricht, tut ihre Tochter Ju-Ju (Ruby M. Lichtenberg) als wandelndes Klimaschützer-Klischee das Gegenteil – wer unter 18 ist, muss sich natürlich gleich über Lannerts alten Porsche echauffieren.
Trotz dieser kleinen Schönheitsfehler ist der Tatort aus Stuttgart nach einer missglückten (Hüter der Schwelle), zwei ordentlichen (Der Welten Lohn, Du allein) und einer gelungenen Folge (Das ist unser Haus) mit diesem starken Krimidrama wieder in der Erfolgsspur – was auch an der zwar vorhersehbaren, aber doch sehr originell arrangierten Auflösung liegt, bei der gefrorener Hundekot den entscheidenden Hinweis liefert. Bleibt zu hoffen, dass das Jahr 2022 so überzeugend weitergeht.
Bewertung: 8/10
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