Folge: 1115 | 1. Januar 2020 | Sender: WDR | Regie: Jan Georg Schütte
Bild: WDR/Tom Trambow |
So war der Tatort:
Um Längen authentischer und weniger nervtötend als die improvisierten Ludwigshafener Tatort-Folgen Babbeldasch von 2017 und Waldlust von 2018.
Und das, obwohl auch Das Team unter Regie von Jan Georg Schütte ohne festes Drehbuch entstand: Der Tatort-Debütant, der für improvisierte Fernsehfilme wie Wellness für Paare schon viele Preise abräumte, versammelt für den Start ins Jubiläumsjahr der Krimireihe stolze sieben Ermittler vor 24 unbemannten und 12 bemannten Kameras und lässt sie ohne vorgegebene Dialoge aufeinander los.
Neben den Dortmunder Tatort-Kommissaren Peter Faber (Jörg Hartmann) und Martina Bönisch (Anna Schudt) sowie der Münsteraner Tatort-Kommissarin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) finden sich auch der labile Oberhausener Kollege Marcus Rettenbach (Ben Becker, Die Pfalz von oben), der aufstrebende Paderborner Kommissar Sascha Ziesing (Friedrich Mücke, Falscher Hase), die verwitwete Düsseldorfer Ermittlerin Nadine Möller (Elena Uhlig, Müll) und der arrogante Aachener Kommissar Franz Mitschowski (Nicholas Ofczarek, Die Geschichte vom bösen Friederich) in einem Tagungshotel in Nordrhein-Westfalen ein.
Der Grund ihrer Zusammenkunft, auf die sie Ministerpräsident Armin Laschet bei seinem kurzen Gastauftritt einschwört: Ein Serienmörder hat vier Polizisten aus NRW getötet und die Coaches Christoph (Polizeiruf 110-Kommissar Charly Hübner) und Martin Scholz (Bjarne Mädel, Das namenlose Mädchen) sollen die Ermittler zu einem schlagkräftigen Team formen.
SCHOLZ:Dass ihr polizeilich top seid, davon gehen wir aus – sonst wärt ihr alle nicht hier. Und dass ihr nicht teamfähig seid, davon gehen wir auch aus – sonst wärt ihr nämlich nicht top.
Regisseur Jan Georg Schütte, der in der 1115. Ausgabe der Krimireihe selbst eine kleine Rolle als SEK-Leiter spielt, hat mit seinem Debüt einen handwerklich außergewöhnlichen Tatort geschaffen, der in seiner Entstehung ziemlich einzigartig ist: Alle Schauspieler improvisierten die Dialoge allein auf Basis ihrer Rollenprofile und ohne die Profile der anderen Darsteller zu kennen. Wie bei einem stimmungsvollen Krimi-Dinner ergab sich erst im Laufe des Drehs, wer gut und wer böse ist – und was die Schauspieler aus ihren Rollen herausholten, lag allein in ihren Händen.
Schon nach wenigen Minuten wird deutlich, dass Das Team mit einem klassischen Sonntagskrimi wenig zu tun hat: Wer Ermittlungen nach Schema F mit den üblichen Standarddialogen und Friede, Freude, Eierkuchen nach dem Abspann erwartet, wird an diesem sehr fordernden, aber hochinteressanten Impro-Experiment schnell die Lust verlieren.
Seinen Reiz bezieht das emotionale Kammerspiel vielmehr aus zwei Fragen: Welcher Kommissar wird im Tagungshotel sterben, nachdem vorab bereits vier Polizisten das Zeitliche gesegnet haben? Und wer spielt mit gezinkten Karten und ist selbst der Mörder?
Ähnlich wie im Agatha-Christie-Klassiker Mord im Orient-Express oder in Francois Ozons Krimikomödie 8 Frauen muss sich der Täter im selben Mikrokosmos aufhalten wie sein späteres Opfer, das nach knapp einer Stunde gefunden wird und an Neujahr 2020 viele Millionen Stammzuschauer schockierte.
Weil jede/r Anwesende einen oder mehrere Momente unbeobachtet ist und damit als Mörder/in infrage kommt, bleibt bis in die Schlussminuten offen, wer der Wolf im Schafspelz ist. Eine harte Nuss selbst für erfahrene Whodunit-Experten – was neben ein paar falschen Fährten aber vor allem daran liegt, dass das Mordmotiv in diesem ansonsten so gelungenen Tatort alles andere als glaubwürdig ausfällt.
Auch schauspielerisch ergibt sich kein ganz homogenes Bild: Während Jörg Hartmann in seiner gewohnten Rolle als Dortmunder Enfant terrible im Vergleich zu spektakulären Auftritten wie in Auf ewig Dein oder Inferno überraschend blass bleibt und Bjarne Mädel auch rollenbedingt im Schatten von Charly Hübner steht, geben vor allem Anna Schudt und Ben Becker dem Affen ordentlich Zucker.
Wer sich auf die improvisierten Psychospielchen, die ungewöhnliche Krimistruktur und die bisweilen etwas repetitiven Dialoge einlässt, wird unterm Strich aber nicht nur Zeuge eines engagierten Ensembles, sondern auch eines mitreißend arrangierten Rätselratens um einen Killer, dessen letzter Mord lange nachhallt.
Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort „One Way Ticket“
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