Folge: 1087 | 10. März 2019 | Sender: SWR | Regie: Julia von Heinz
Bild: SWR/Benoit Linder |
Angelehnt an den realen Fall Maria Henselmann, die 2013 in Freiburg verschwand und fünf Jahre später gesund und munter wiederauftauchte – und zugleich angelehnt an den Tatort-Klassiker Reifezeugnis, der bis heute zu den skandalträchtigsten Folgen der Krimireihe zählt.
Brannte die 13-jährige Henselmann im realen Leben mit einem 40-jährigen Mann nach Italien durch, um mit dem Eintritt ihrer Volljährigkeit zu ihrer erleichterten Mutter in den Breisgau zurückzukehren, waren es im Tatort von 1977 die junge Schülerin Sina Wolf (Nastassja Kinski) und ihr Lehrer Helmut Fichte (Christian Quadflieg), die eine intime Beziehung miteinander eingingen, obwohl sie das natürlich nicht durften.
Ganz ähnlich liegt der Fall im vierten Schwarzwald-Tatort, in dem der beim Dreh des grandiosen Vorgängers Damian krankheitsbedingt ausgefallene Hauptdarsteller sein Comeback feiert: Friedemann Berg (wieder fit: Hans-Jochen Wagner) und Franziska Tobler (Eva Löbau) werden in Für immer und dich auf eine Fahrerflucht mit Todesfolge angesetzt.
Die dient allerdings in erster Linie dazu, die Hauptkommissare auf den Plan zu rufen und den Film damit in das diesmal eher schlecht als recht passende Krimikorsett zu quetschen: Im Zentrum der Geschichte steht weniger der getötete Autoknacker, als vielmehr der Roadtrip der 15-jährigen Emily Arnold (Meira Durand) mit ihrem über 30 Jahre älteren Liebhaber und pädophilen Ersatzvater Martin Nussbaum (Andreas Lust), der dabei die Sehnsüchte auslebt, die andere Männer sonst offenbar mit Vorliebe auf den einschlägigen Pornoseiten im Internet befriedigen.
TOBLER:
Ich find’s zum Kotzen. Erwachsene Männer, die nackte Mädchen gucken.BERG:Jaja. Es gibt auch erwachsene Frauen, die nackte Jungs gucken, ne?
Drehbuchautor Magnus Vattrodt (Der traurige König) und Regisseurin Julia von Heinz, die Reifezeugnis offen als Vorbild für ihren ersten Tatort nennt, haben den Krimititel nicht von ungefähr gewählt: Eine der größten Stärken ihres Films ist der fantastische Soundtrack von Rio Reiser, dessen kraftvolle Ballade Für immer und dich sogar die eigentlich Abspannmusik ersetzt.
Diese musikalische Variation steht aber exemplarisch für das, was auch für das Erzähltempo, die Dramaturgie und die Tonalität des Films gilt: Aus der 1087. Tatort-Folge ist weniger ein Krimi, als vielmehr ein Drama geworden, weil die Spannung auf Sparflamme köchelt und die Kommissare als Identifikationsfiguren für den Zuschauer weniger im Fokus stehen als üblich.
Auch das hat es im Tatort schon häufiger gegeben (zum Beispiel in Haie vor Helgoland), doch erweist sich Für immer und dich als deutlich zähere Angelegenheit: Während Tobler mit ihren Gedanken immer wieder bei einem positiven Schwangerschaftstest ist, widmet Berg sich pro forma der Fahrerflucht, die wir im Gegensatz zu ihm live miterleben. Das nimmt seinen Ermittlungen den Reiz, und auch der Twist im Hinblick auf Toblers Schwangerschaft ist sehr vorhersehbar.
So kommt der in sommerlicher Sepia-Ästhetik gehaltene Film als spannungsarme Kreuzung aus tragischem Roadmovie, klassischem Krimi und emotionalem Pädophiliedrama mit Coming-of-Age-Elementen daher – ein zweifellos mutiges Unterfangen, das trotz der tollen Leistungen von Tatort-Debütantin Meira Durand und Andreas Lust (Treibjagd) aber nicht vollends überzeugt.
Denn auch im Hinblick auf die Beziehung zwischen Emily und Martin bleibt das Drehbuch manches schuldig: Der Faszination der 15-Jährigen für den viel älteren Erwachsenen gehen die Filmemacher gar nicht erst auf den Grund – Toblers Besuch bei ihrer energischen Mutter Michaela (Kim Riedle, Am Ende des Tages) muss als Erklärung für Emilys Flucht schon ausreichen.
Aber auch im Hier und Jetzt wirkt einiges nicht stimmig: Verhält sich Emily in der Eröffnungssequenz wie ein frisch verliebter Teenager, der Nussbaum auch körperlich nah sein möchte, flirtet das Mädchen schon im nächsten Augenblick mit drei Truckern und wendet sich genervt ihrem Hund Luno zu, als Nussbaum sich oral an ihr vergeht.
Diese Ambivalenz ließe sich mit dem Hormonhaushalt eines viel zu früh sexualisierten Teenagers erklären, doch wirkt der Sinneswandel an anderer Stelle glaubwürdiger – zum Beispiel bei der aufkeimenden Freundschaft zur ausgeflippten Tankstellen-Aushilfe Jona (Luisa Céline Gaffron), die Emily vor Augen führt, dass das Leben noch mehr zu bieten hat als endlose Freizeit mit einem deutlich älteren Mann, dessen Niedertracht selbst vor seiner eigenen Mutter Luise (Ursula Werner, Money! Money!) nicht Halt macht.
Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort „Borowski und das Glück der Anderen“
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