Folge: 1079 | 6. Januar 2019 | Sender: WDR | Regie: Sebastian Ko
Bild: WDR/Martin Valentin Menke |
So war der Tatort:
Inhaltlich auffallend verwandt mit dem zwei Wochen zuvor gesendeten Schwarzwald-Tatort Damian – im direkten Vergleich aber eine ganze Ecke schwächer.
Denn die Drehbuchautoren Jan Martin Scharf und Arne Nolting, die zuletzt den tollen Hamburger Tatort Alles was sie sagen konzipierten, setzen bei ihrem Krimi auf einen deutlich massenkompatibleren Ansatz: Waren große Teile des TV-Publikums mit den Zeitsprüngen und der verschachtelten Erzähltechnik in Damian hoffnungslos überfordert, übernehmen die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) das Denken für den Zuschauer gleich mit. Entgegen dem erzählerischen Erfolgsrezept Show, don’t tell kommentieren sie in Weiter, immer weiter oft Dinge, die die Bilder längst geschildert haben, oder sie fassen die neuesten Erkenntnisse auf dem Weg zu Freddys Dienstwagen noch einmal zusammen – wer ein paar Minuten geistig abwesend ist, wird von den Filmemachern sanft aufgefangen.
Ganz anders ergeht es den beiden Polizisten Frank Lorenz (charismatisch: Roeland Wiesnekker, bis 2016 vier Mal als Kommissariatsleiter Henning Riefenstahl im Tatort aus Frankfurt zu sehen) und Vera Kreykamp (Laina Schwarz, Er wird töten), die der Kölner Streifenalltag mit voller Härte erwischt: Erst müssen sie einleitend machtlos mitansehen, wie der junge Drogendealer Pascal Pohl (Wolf Danny Homann) bei einer Verkehrskontrolle in Panik vor eine Straßenbahn rennt – und dann kotzt Lorenz bei einem Routineeinsatz am Bahnhof auch noch ein volltrunkener Obdachloser auf die Uniform.
SCHENK:
Was riecht denn hier so?
LORENZ:Das bin ich. Doppelkorn und Kotze – der Duft vom Deutzer Bahnhof.
Weiter, immer weiter hätte ein beklemmendes Krimidrama über die Überlastung von Polizeibeamten der unteren Dienstränge werden können, in dem sich die Filmemacher – ähnlich wie im Münchner Tatort Macht und Ohnmacht – kritisch mit dem täglichen Druck auf Streife und der Verarbeitung traumatischer Erlebnisse auseinandersetzen.
Das ist hier aber nicht das Ziel: Regisseur Sebastion Ko (Mitgehangen) inszeniert ein reizvolles Rätsel um Wahrheit, Wahrnehmung und Wahrscheinlichkeiten, bei dem der im Umgang schwierige Lorenz den Kölner Kommissaren regelmäßig in ihren Zuständigkeitsbereich funkt. Er will sich einfach nicht damit abfinden, dass der Tod des Dealers ein tragischer Unfall war, sondern vermutet die Mafia hinter der Sache: Pohl wurde vor der Verkehrskontrolle angeblich von einem Wagen einer russischen Feinkostfirma gejagt – doch weil Geschäftsführerin Irina Nikitina (Katerina Medvedeva, Bienzle und der Feuerteufel) sich bei der Befragung ebenso ahnungslos gibt wie ihr Sohn Nikolaj (Vladimir Burlakov, Du gehörst mir) und der einflussreiche Roman Beresow (Jevgenij Sitochin, Kriegssplitter), verlaufen die Ermittlungen der Kommissare im Sand.
Es ist typisch für den Tatort aus der Domstadt, dass Lorenz‘ Theorie die Kommissare dennoch gegeneinander aufbringt, obwohl die Substanz für weitere Nachforschungen eigentlich fehlt: Während „Schenki“, der Lorenz noch von früher kennt, der Theorie Aufmerksamkeit schenkt und sogar den freien Dienstagabend für einen Kneipenbesuch mit dem Ex-Kollegen opfert, stößt Lorenz bei Ballauf auf taube Ohren. Die Spannungen sind vorprogrammiert – und so ist es einmal mehr der schlafmützige Assistent Norbert Jütte (Roland Riebeling), der im Präsidium für Entschleunigung sorgt und den sympathischen Ruhepol im 1079. Tatort bildet.
Auf der Zielgeraden zünden die Filmemacher dann noch eine Rakete und offenbaren eine pfiffige Auflösung, die stark an den einleitend erwähnten Aha-Effekt in Damian erinnert, wenngleich er nicht ganz so überraschend ausfällt: Wenn Lorenz nach einem harten Arbeitstag heimkommt und seiner gleichaltrigen Schwester Mecki (Annette Paulmann, Das Dorf) sein Herz ausschüttet, bleiben deren Ratschläge auffallend blutleer und substanzlos – und auch der starke Fokus der Handlung auf ihren psychisch labilen Bruder verstärkt früh den Verdacht, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht.
Dennoch zählt der 74. Fall von Ballauf und Schenk nach viel Mittelmaß in den Vorjahren (vgl. Tanzmariechen, Nachbarn, Familien) oder dem überraschend schwachen Bausünden zu den stärkeren Tatort-Folgen aus Köln – mit weniger Plattitüden und etwas mehr Klasse als Kitsch (z.B. der Einsatz des Chores in der Schlusssequenz) hätte aus Weiter, immer weiter sogar ein echter Überraschungshit werden können.
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