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Lakritz

Folge: 1107 | 3. November 2019 | Sender: WDR | Regie: Randa Chahoud

Bild: WDR/Willi Weber

So war der Tatort:

Weit weniger künstlich als die zwei neuen Wachsfiguren von Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers), die es seit Herbst 2019 bei Madame Tussauds in Berlin zu bestaunen gibt.

Und das ist mit Blick auf die Jahre davor durchaus bemerkenswert: Schließlich war das Münsteraner Figurenensemble, das von den Filmemachern meist nur noch mit platten Pointen durch die üblichen Standardsituationen gejagt wird, so ziemlich das Künstlichste, was man sonntags im Ersten zu sehen bekam.

In Lakritz widmen sich Regisseurin Randa Chahoud, die zum ersten Mal für einen Tatort am Ruder sitzt, und Drehbuchautor Thorsten Wettcke (Gott ist auch nur ein Mensch), der zum zehnten Mal ein Skript beisteuert, erfreulicherweise mal wieder der Charakterzeichnung: Sie beleuchten Boernes Vergangenheit, der als schüchterner Teenager eine Vorliebe für Lakritz entwickelte und in der mittlerweile von seiner früheren Jugendliebe Monika Maltritz (Annika Kuhl, Damian) geführten Lakritzmanufaktur treuer Stammgast war.

Mit eben jenen Köstlichkeiten aus dem Hause Maltritz wurde nun Hannes Wagner (Pierre Siegenthaler), der Marktmeister des Münsteraner Wochenmarkts, ermordet, indem der Mörder Zyankali unter sein Lieblingslakritz gemischt hat. Ehe Thiel und Boerne gemeinsam mit Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) die Ermittlungen aufnehmen können, muss der Professor aber erstmal einen ordentlichen Kater loswerden: Er stolpert für ein paar billige Lacher betrunken in den 1107. Tatort und artikuliert sich in den Anfangsminuten lallend.


BOERNE:
Thiel, möglicherweise ist Gefahr im Verzug!

THIEL:
Wieso, sitzen Sie mit Ihrem Restalkohol am Steuer?

Bemühte Kalauer wie diese bleiben im 35. Tatort aus Münster zum Glück die Ausnahme: Zwar dichten die Filmemacher Thiel – natürlich in Kontrast zu den leckeren Süßigkeiten, auf die der Kommissar im Gegensatz zu Boerne verzichten muss – noch einen müden Running Gag um eine Smoothie- und Gemüsediät an, doch zählt Lakritz mit Blick auf enttäuschende Folgen wie Fangschuss oder Schlangengrube klar zu den originelleren, weil bodenständigen und nicht zu überzeichneten Beiträgen aus Westfalen.

Die Figuren verbuchen menschliche Momente für sich, statt als Abziehbilder ihrer selbst nur auf Autopilot zu laufen: Während Boernes Assistentin Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch) nach einem spontanen Geschenk ihres eitlen Chefs fast zu Tränen gerührt ist, stellt sich Boerne im eigenen Keller seinem Teenie-Trauma, das er bis heute nicht überwunden hat.

Die charmante Aufarbeitung seiner unerfüllten Jugendliebe Monika Maltritz (Jamie Bick) gerät dabei weniger albern als manch frühere Folge, in denen der Professor ebenfalls alte Weggefährten aufsuchte, die in Verbindung zum Fall standen – und wenn Boerne seinem jüngeren Ich (Vincent Hahnen) auf einem Dachboden sogar in Fleisch und Blut gegenübersteht, ist das für Münsteraner Verhältnisse geradezu innovativ erzählt.

Der Ausflug in die Vergangenheit sorgt außerdem für einen hohen Nostalgiefaktor – ältere Zuschauer dürften sich in Zeiten versetzt fühlen, in denen sie selbst noch mit ein paar Groschen zum Tante-Emma-Laden gelaufen sind oder mit großen Augen vor der Süßigkeitenauslage standen, die versierte Bonbonmacher wie Harald Maltritz (Walter Hess) in liebevoller Handarbeit mit leckeren Kreationen gefüllt haben.

Mit dem radebrechenden holländischen Marktverkäufer Cornelius Bellekom (Ronald Top), den Thiel in die Mangel nimmt, gibt es zudem eine witzige Nebenfigur und auch Fans klassischer Whodunit-Konstruktionen kommen bei diesem vergnüglichen Tatort auf ihre Kosten: Wenngleich die Spannung gegen den Nullpunkt tendiert, gestaltet sich die die Auflösung der Täterfrage knifflig.

Nur einer wirkt in dieser über weite Strecken gelungenen Krimikomödie einmal mehr wie überflüssiges Beiwerk: Die substanzlosen Machenschaften von Herbert „Vaddern“ Thiel (diesmal: der Handel mit Drogen und Wundermittelchen) sind schon seit Jahren nicht mehr witzig, werden für die Fans der westfälischen Schmunzelkrimis aber ebenso in den Plot gequetscht wie die qualmende Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann), die diesmal wenigstens was zum Fall beisteuert.

Und am Ende ist es wieder wie so oft in Münster: Fast alles hängt irgendwie mit fast allem zusammen.

Bewertung: 6/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort „Der Elefant im Raum“


Kommentare

6 Antworten zu „Lakritz“

  1. Avatar von Anonym

    Der letzte Tatort bei dem Münster überzeugt hat, aber dafür richtig. 10/10

  2. Avatar von Anonym

    Warum nur 6/10? 7 Punkte wären doch mindestens drinn gewesen?

  3. nach mehrmaligen Versuchen auch andere Tatortfolgen anzusehen,bin ich nun fest überzeugt,schaue nur mehr Münster u. Wien.Alle anderen grottenschlecht u.unzumutbar,müsste man alle wegrationieren,schlechter geht nicht mehr,es reicht!

  4. Der Tatort "Lakritz" war guter Durchschnitt, nicht mehr und nicht weniger. Der Krimi aus Münster wird schon deshalb als gut empfunden, weil andere Tatort(e) so grottenschlecht sind. Die Münsteraner schaue ich mir meistens noch an, die Anderen schenke ich mir.

  5. Klasse, wir waren mal wieder begeistert.
    Katja & Wolfgang

  6. Super Tatort!!! 10 von 10 Punkte. Endlich ein Tatort wie er sein sollte und kein Versuchsfilm ala Murot. Eine Geschichte gut erzählt. Dieser Tatort hatte alles Inhalt, Dramatik, Humor, Freundschaft, viele Motive und einen Spannungsbogen im Retrostil von der ersten bis zur letzten Minute. Bitte mehr solche Tatorte. Da zahlt man gerne seine GEZ-Gebühr!!!

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