Folge: 1117 | 12. Januar 2020 | Sender: WDR | Regie: Felix Herzogenrath
Bild: WDR/Thomas Kost |
So war der Tatort:
Rufschädigend.
Und zwar in erster Linie für den bedauernswerten Hauptkommissar Freddy Schenk (Dietmar Bär), der in Kein Mitleid, keine Gnade nach einem vermeintlichen Übergriff auf eine angehende Abiturientin (s. Bild) schwer in Bedrängnis gerät. Gegen den Kölner Polizisten wird ein Strafverfahren wegen Nötigung im Amt eingeleitet – und das ausgerechnet an seinem Geburtstag, den im Präsidium zunächst alle zu vergessen scheinen und den später niemand mehr standesgemäß mit dem vermeintlichen Busengrapscher feiern will.
Selbst seinem Kollegen Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) kommt kein Glückwunsch über die Lippen, wenngleich er um die wahren Abläufe auf dem Pausenhof eines Gymnasiums weiß: Das Klima im Revier ist frostig und Schenk bekommt am eigenen Leib zu spüren, wie schnell aus haltlosen Vorwürfen über Handyvideos in den sozialen Medien in den Köpfen der Kollegen Tatsachen werden können.
Auch Assistent Norbert Jütte (Roland Riebeling), nach diversen Standpauken in den vergangenen Kölner Tatort-Folgen bekanntlich nicht immer gut auf seinen Chef zu sprechen, hegt Zweifel an dessen Unschuld. Und gibt nebenbei preis, dass er nicht immer der gemütliche Schreibtischtäter war, den er seit seinem Dienstantritt im Tatort Mitgehangen gibt.
SCHENK:
Du warst bei der Sitte? Freiwillig?JÜTTE:Fand ich interessant. Rotlicht, Nutten, der ganze Schweinkram…
Das wichtige Thema (Cyber)-Mobbing ist das Kernthema der 1117. Tatort-Folge und spiegelt sich auch im Mordfall wider, den Drehbuchautor Johannes Rotter (Scheinwelten) als klassischen Whodunit angelegt hat.
Nachdem an einem Seeufer die nackte Leiche des 17-jährigen Jan Sattler (Finn Ulrich) gefunden wird, geraten neben seinem Freund Paul (Thomas Prenn, Damian), vor allem drei gleichaltrige Mitschüler ins Visier der Kommissare: Lennart (Moritz Jahn, Der Fall Holdt), Nadine (Emma Drogunova, Zurück ins Licht) und Robin (Justus Johanssen, Die ewige Welle) hatten das schwule Paar auf dem Kieker und ließen keine Gelegenheit aus, die beiden zu demütigen.
Während Thomas Prenns erneut sehr überzeugende Darbietung stark an seine vielschichtige Titelrolle im Schwarzwald-Tatort Damian erinnert, könnten die anderen Figuren dank ihrer Schablonenhaftigkeit direkt einer amerikanischen High-School-Komödie entsprungen sein: Da gibt es die gutaussehende und beliebte Sportskanone Robin, der sogar die Lehrerin zu Erfolgen auf dem Fußballplatz gratuliert, das verwöhnte „Rich Kid“ Lennart, das von seinen Eltern für ein Schulprojekt mal eben eine teure Spiegelreflexkamera geschenkt bekommt, und natürlich auch das durchtriebene Biest Nadine, das seine weiblichen Reize gezielt einsetzt und die Männer – Ballauf und Schenk eingeschlossen – stets nach seiner Pfeife tanzen lässt.
Im Hinblick auf die Auflösung der Täterfrage birgt das eine gewisse Vorhersehbarkeit, denn außer den Jugendlichen kommt nur eine weitere Person als Mörder infrage – die segnet jedoch wenig überraschend als obligatorische zweite Tatort-Leiche das Zeitliche.
Im direkten Vergleich zu manch anderem Krimi aus Köln ergeben sich durch das routinierte Abarbeiten der üblichen Standardsituatonen der Krimireihe in Kein Mitleid, keine Gnade aber nur selten Spannungslöcher: Auf dem Revier sorgt Jütte mit seiner gewohnt herzlichen Art für Heiterkeit, aber auch ernste Zwischentöne, während die Kommissare diesmal besonders persönlich in den Fall involviert sind. Während sich Ballauf mit dem Nutzernamen „Silvercop“ (!) in einer Dating-App für Schwule anmeldet und bemüht mit dem Thema Homophobie auseinandersetzt, muss sich Schenk der hartnäckigen Grapschervorwürfe erwehren.
Hier birgt der von Regisseur Felix Herzogenrath ansprechend in Szene gesetzte Film seine größten Schwächen: Was es wirklich für einen angehenden Abiturienten heißt, sein Outing zu erleben und Schultag für Schultag von seinen Mitschülern gemobbt zu werden, ergründen die Filmemacher ohne wirklichen Tiefgang – die Vorwürfe gegen Schenk hingegen wirken dermaßen konstruiert und an den Haaren herbeigezogen, dass sich wohl nur wenige Zuschauer ernsthaft Sorgen um die Reputation des Kommissars machen dürften.
Da haben Freddy und Max in ihren über 20 gemeinsamen Dienstjahren schließlich schon ganz andere Krisen durchgestanden.
Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort „Tschill Out“
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