Folge: 1257 | 14. Januar 2024 | Sender: WDR | Regie: Charlotte Rolfes
Inhaltlich verwandt mit Martin Scorseses grandiosem Hollywood-Hit
The Wolf of Wall Street oder Dieter Wedels mittelprächtigem Hochstapler-Drama
Gier – und qualitativ genau dazwischen.
Denn auch in Pyramide geht es einem selbstverliebten Finanzunternehmer und Blender nicht etwa darum, mit vermeintlich todsicheren Investments die Kassen seiner Kunden und Angestellten klingeln zu lassen: Es geht ihm um die persönliche Bereicherung auf Kosten naiver Kleinanleger, die sich mit ihren ersparten Talern zu windigen Investments verleiten lassen. Selfmade-Man Christopher Komann (Robin Sondermann) ist praktisch das Tatort-Pendant zu Dieter Schatz (Ulrich Tukur) und Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio): ein erstklassiger (Selbst-)Verkäufer, dem die Menschen in ihrer Hoffnung auf astronomische Renditen vertrauen und es bald bitter bereuen.
Der ebenso ex- wie egozentrische Komann, der auch an Gabriel Fenger (Barry Atsma) aus der ZDF-Serie
Bad Banks erinnert, hat sich mit seinem windigen Strukturvertrieb „Concreta“ ein cleveres (und für den Tatort titelgebendes) Pyramidensystem aufgebaut. An der Spitze steht er selbst und streicht als Motivator seiner Belegschaft die fettesten Provisionen ein. In der Mitte ackern fleißige Akquisiteure wie „Rocko“ Andersen (Oleg Tikhomirov,
Borowski und das unschuldige Kind von Wacken), die nicht nur Kunden, sondern auch weitere „Läufer“ ranschaffen. Und ganz unten, da stehen mittellose Newbies wie Andrè Stamm (Rouven Israel), die sich einen Floh ins Ohr setzen lassen und als Verlierer auf der Schattenseite des Berufslebens glauben, sie bekämen hier die Chance ihres Lebens.
Die Drehbuchautoren Jan-Arne Nolting und Martin Scharf, die zuletzt den soliden Kölner Tatort
Spur des Blutes konzipierten, werfen die Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) recht wild in die in acht (!) Kapitel unterteilte Story hinein. Sie beginnt nicht am Anfang, sondern kurz vor Schluss: Stamm sitzt im Verhör und möchte den Kölner Kriminalisten seine Geschichte erzählen. Sie hören ihm zu. Erst später, chronologisch aber früher wird der Tote gefunden, dessen Mörder es zu finden gilt: Rechtsanwalt Stephan Kleinerts (Kasem Hoxha,
Was bleibt) hatte eine Sammelklage gegen die Concreta vorbereitet und liegt erschlagen in seiner Kanzlei.
Kaum am Tatort angetroffen, werden Ballauf und Schenk schon wieder abgezogen: Im Concreta-Firmengebäude findet eine Geiselnahme statt. „Rocko“ hat Komann und einige Geiseln in seine Gewalt gebracht und scheint zu allem entschlossen. Als die Sache glimpflich endet, hat Komann nach gerade einmal zwanzig Minuten seinen ersten großen Auftritt: Statt sich einer Psychologin anzuvertrauen, einen Nervenzusammenbruch zu erleiden oder irgendeine andere menschliche Reaktion darauf zu zeigen, dass ihm gerade vor laufender Kamera eine Waffe an den Kopf gehalten wurde, denkt er als erstes an die PR und gibt seiner Assistentin Josy (Rebekka Wurst) präzise Anweisungen. Grandios.
KOMANN:
Gib den beiden Wachtmeistern doch bitte meinen Terminkalender der letzten Woche. Mit allen Terminen, auch die privaten, ja? Und dann möchte ich aus dem ganzen Kram so viel Social Media wie möglich generieren. Fotos, Videos, Statements, Pressemitteilungen. Dann trommelst du alle wieder zusammen und sie sollen genau da wieder anfangen zu arbeiten, wo sie aufgehört haben, ja. War’s das? Ich komme später nochmal rein, aber ich geh kurz duschen.
Natürlich ist Komann ein Klischee-Arschloch auf zwei Beinen, das die Sushi-Röllchen an seinem Schreibtisch mit bloßen Händen futtert. Und natürlich sind solche Momente fast bis ins Absurde überzeichnet. Aber sie sind auch höllisch unterhaltsam. Und genau das ist die große Stärke dieses temporeich vorgetragenen und zeitlich verschachtelten Schneeballsystem-Thrillers: Die gerade für Kölner Verhältnisse bemerkenswerte Dynamik, die mitreißende Story und die hohe Handlungsdichte gestatten uns kaum Zeit zum längeren Nachdenken über abgegriffene Stereotypen, klaffende Logiklöcher oder das Abkupfern bei den genannten (und weiteren) Vorbildern.
Pyramide macht Laune. Und wartet mit einem starken Cast auf: Während das Stammensemble um Norbert Jütte (Roland Riebeling), Natalie Förster (Tinka Fürst) und Staatsanwältin Melanie Novak (Renan Demirkan) diesmal nur am Rande vorkommt, gehört die Bühne vor allem Robin Sondermann (
Kaltstart) als hassenswertes Enfant terrible und Rouven Israel (
Der Turm) als treudoofer Loser, der sich leicht vereinnahmen lässt. Auch
Para-Darstellerin Roxana Samadi (als schwangere Ehefrau Anja) und die gewohnt charismatische Caro Cult (als kriminelle Cousine Alina) überzeugen auf ganzer Linie. Unverbrauchte Gesichter, sehr gute Leistungen.
Gleichwohl muss man der 1257. Tatort-Ausgabe eine hohe Vorhersehbarkeit attestieren: Schon bevor sich der Film zum Entführungsthriller wandelt, braucht es wenig Phantasie, um sich den Täter und den in der Domstadt einmal mehr äußerst kitschig inszenierten Showdown auszumalen. Auch die Frage, wer den korrupten Rechtsanwalt ermordet hat, dürfte für viele Genrekenner nur Formsache sein. Den hohen Unterhaltungswert schmälert das wenig:
Pyramide ist ein schnörkelloses Thrillerdrama mit einer zwar schon seit Jahrzehnten erzählten (vgl.
Frankfurter Gold), aber zeitlos relevanten Botschaft an Leichtgläubige. Tatort-Debütantin Charlotte Rolfes empfiehlt sich damit für weitere Folgen auf dem Regiestuhl.
Bewertung: 7/10
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