Folge 1282
1. Dezember 2024
Sender: NDR
Regie: Lars Kraume
Drehbuch: Stefan Dähnert
So war der Tatort:
Groszlos, aber nicht gottlos.
Ganz im Gegenteil: Der erste Solo-Tatort mit Bundespolizist Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring), der in den Schlussminuten des Hamburger Vorgängers Was bleibt noch den Tod seiner langjährigen Partnerin Julia Grosz (Franziska Weiz) verkraften musste, spielt in einem Kloster. Genauer gesagt: Im fiktiven Kloster St. Josef in der Eifel, und damit fernab von Falkes hanseatischer Heimat, die in Schweigen kein einziges Mal thematisiert wird. Grosz‘ Ableben hingegen wird kurz in einer Rückblende aufgegriffen; sie fällt leider ähnlich dünn aus wie der ganze Tod der Figur, der in Was bleibt noch seltsam unnötig ins Drehbuch geklatscht wurde.
So bietet sich im 1282. Tatort unter Regie von Lars Kraume (Der Hammer) und aus der Feder von Drehbuchautor Stefan Dähnert (Geisterfahrt) jedoch ein idealer Anknüpfungspunkt, der den Schauplatz tief im Westen Deutschlands (gedreht wurde in der Abtei Mariawald bei Heimbach) erst ermöglicht: Falke gönnt sich im Kloster eine Auszeit und nutzt die Zeit zum Seelenheil. Gemeinsam mit seinem Zimmernachbarn, dem psychisch labilen Gabelstaplerfahrer Daniel Weinert (Florian Lukas, Der treue Roy), lässt er am letzten Abend fünfe gerade sein, trinkt mit ihm Schnaps und fährt sogar tollkühn auf Skiern durchs Treppenhaus.
Wenig überraschend wird Falke noch in derselben Nacht als Polizist gebraucht: Der katholische Pfarrer Otto (Hannes Hellmann, Hubertys Rache), der auch die Jugendfußballmannschaft des Klosters betreut, verbrennt qualvoll in einem Wohnwagen und weist eine Schnittverletzung auf. Weil Falke offiziell nicht im Dienst ist, rückt die vor Ort zuständige, passenderweise streng gläubige Kommissarin Eve Pötter (Lena Lauzemis, Gewaltfieber) an. Schon bald stellt man Falke auch die junge und bereits bemerkenswert abgebrühte LKA-Beamtin Schwerdtfeger (Julia Jendroßek) zur Seite, weil sich im Kloster menschliche Abgründe auftun: Der ermordete Pastor war offenbar Teil eines Pädophilenrings.
Pfarrer, Pornografie, Pädophilie: Mehr Klischee geht eigentlich kaum. Aber seit Jahrzehnten ist das eben auch bittere Realität, zumal die Aufarbeitung der unzähligen Missbrauchsskandale in der (katholischen) Kirche im Jahr 2024 allen Bemühungen zum Trotz noch immer in den Kinderschuhen steckt. Als Vorlage für den Krimi diente der reale „Fall Dillinger“ aus dem Bistum Trier, und auch der Besuch beim abweisenden Generalvikar Billing (Sebastian Blomberg, von 2018 bis 2022 dreimal im Mainzer Tatort als Hauptkommissar Rascher zu sehen) macht eindringlich deutlich: Es wird fleißig verharmlost, vertuscht und verschwiegen.
Als erstmaliger Tatort-Beitrag zur Debatte um die stockende Aufarbeitung der scheußlichen Taten und die schlimmen Schicksale der vielen Betroffenen ist Schweigen daher ein sehr wertvoller Krimi zur besten Sendezeit. Auch als Whodunit zum Miträtseln funktioniert er gut: Mit dem aufgewühlten, bald flüchtigen Daniel, der als Kind selbst missbraucht wurde und die Täter von damals zur Strecke bringen will, ist ein Hauptverdächtiger zwar schnell ausgemacht – weil Falkes Kumpel viel zu sympathisch, bemitleidenswert und tatverdächtig ist, scheidet er für die Auflösung der Täterfrage allerdings aus. Dafür werden im Umfeld von Kommissarin Pötter zwei falsche Fährten gelegt, die uns glaubhaft in die Irre führen.
Fast noch reizvoller gestaltet sich als zweite Antriebsfeder des Kriminalfalls aber die Frage, wer wohl der Kopf des Pädophilenrings ist, der sein abartiges Treiben nicht nur auf das Kloster beschränkt hat: Weil ein Foto aus den 80er Jahren einen Hinweis auf sein Alter gibt und neben dem ermordeten Pfarrer nur eine einzige entsprechend alte Person im Krimi vorkommt, ist das Erraten ihrer Identität allerdings Formsache. Am Ende sind genau die Menschen die Täter, von denen wir es erwarten. Überraschungen im Drehbuch und Variationen der Stereotypen sind rar, vielleicht verbieten sie sich aber bei einem so sensiblen Thema. Im Mittelpunkt stehen die Schicksale der Opfer, und das ist gut so. Humorvolle Momente wie das Ertönen von Falkes Klingelton „Sympathy for the devil“ in der Kirche bleiben seltene Ausnahmen.
So ist Schweigen unterm Strich ein ebenso relevanter wie beklemmender Tatort, der sich auch bei der Besetzung der Episodenrollen keine Blöße gibt: Neben Lena Lauzemis als gläubige Kommissarin glänzt vor allem Florian Lukas, der dem Affen beim dramatischen Finale mit irrem Blick und zerzausten Haaren ordentlich Zucker gibt. Wotan Wilke Möhring bleibt etwas dahinter zurück; sein limitiertes Spiel wird vor allem in jenen Momenten sichtbar, in denen sein Bundespolizist die Fassung verliert oder betroffen Kinderfotos sichtet. Dafür mimt er mit Falke einen authentischen Typen, der das Herz am rechten Fleck hat – und der auch bei seinen nächsten Einsätzen mit wechselnden Kriminalisten an seiner Seite ermittelt.
Bewertung: 7/10
Drehspiegel: So geht’s im Tatort mit Thorsten Falke weiter
Ausblick: Dieser Tatort läuft am nächsten Sonntag
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