Folge 1306
15. Juni 2025
Sender: SRF
Regie: Tobias Ineichen
Drehbuch: Adrian Illien
So war der Tatort:
Haarig.
Die Zürcher Kantonspolizistinnen Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und Tessa Ott (Carol Schuler) ermitteln bei ihrem neunten gemeinsamen Einsatz nämlich in einem ganz besonderen, in der Krimireihe bis dato selten beleuchteten Milieu: unter betuchten Coiffeuren, unheimlichen Perückenmacherinnen und streng auf Profit ausgerichteten Haarteilkonzernen.
Wir lernen den in der High Society bestens vernetzten Star-Coiffeur Marco Tomasi (Bruno Cathomas, von 2017 bis 2019 im Frankfurter Tatort als Kripochef Fosco Cariddi zu sehen) kennen: Der vornehm gekleidete Handwerker mit Salon in bester Lage hat den Suizid seiner depressiven Gattin nicht verhindern können und muss nun auch noch den gewaltsamen Tod seiner umtriebigen Tochter Vanessa (Elena Flury) verkraften. Nach einem Clubbesuch von einem vermeintlichen Taxifahrer verschleppt und in einem leerstehenden Bunker ihrer halben Haarpracht beraubt, hängt sie am nächsten Morgen tot in einem Baum. Das Verhältnis zu ihrem Vater war schlecht.
Deshalb hatte Vanessa ihre Ausbildung nicht bei ihm, sondern bei der creepy Perückenmacherin Aurora Schneider (Stephanie Japp, Zwei Leben) begonnen: Auch hier klingt durch, dass etwas nicht stimmte zwischen der erfahrenen Lehrmeisterin und ihrer Azubine. Während Schneider für ihre durch Erkrankung, Unfall oder Veranlagung ums Haar gebrachte Kundschaft die letzte Rettung darstellt, spricht Vanessas Freundin Lynn Fischer (Elsa Langnäse, Geburtstagskind) recht abfällig über die Frau, die einem fast ausgestorbenen Kunsthandwerk nachgeht und sogar Bilder aus Haar herstellt. Das heißt freilich nicht, dass sie nicht um den Zeitgeist wüsste.
Und es steht ein Besuch in der Industrie an, die in den kapitalismuskritischen Zürcher Krimis nicht zum ersten Mal ihr Fett weg bekommt: War es in Schoggiläbe die Schokoladenindustrie und in Risiken mit Nebenwirkungen die Pharmabranche, teilt Drehbuchautor Adrian Illien diesmal gegen den Konzern „Majestic Hair“ aus, der sich an der Produktion von Perücken bereichert und nicht so genau nachfragt, wo sein teuer zu verkaufendes Echthaar herkommt. Auch Firmenchefin Else von Landegg (Pascale Pfeuti) und ihr Mann Rudolf (Matthias Schoch) zählen zum potenziellen Kreis der Mörder, den Grandjean und Ott mit Unterstützung des gewohnt eifrigen IT-Experten Noah Löwenherz (Aaron Arens) suchen.
Alles ganz schön Klischee – und während der dramatische Auftaktmord noch auf einen fiebrigen Serienkiller-Thriller im Stile des starken Vorgängers Fährmann hoffen lässt, entpuppt sich der Krimi unter Regie von Tobias Ineichen (Blinder Fleck) in der Folge als recht geradliniger Whodunit. Durchgehend kurzweilig zwar, aber ohne große Aufreger. Mit fortlaufender Spieldauer wirkt er jedoch überfrachtet; zudem hängt alles irgendwie mit allem zusammen. Seine Originalität bezieht der Film vor allem aus dem unverbrauchten Haarthema, einem Toupet-Twist und der Beleuchtung der Branche: Die lässt sich – der Krimititel Rapunzel deutet es an – auch gut mit Märchenmotiven verbinden. Da darf Otts ungeliebte Mutter Madleine (Babett Arens, Freigang), der Coiffeur Tomasi zufälligerweise (!) die Haare frisiert, nicht fehlen.
Gleichzeitig dreht der 1306. Tatort, der der letzte vor der Sommerpause 2025 ist, ein paar hölzern arrangierte Extraschleifen, die nicht zum schauermärchenhaften Erzählton passen: Löwenherz‘ neuer Schnauzer beispielsweise bringt zwar die (passenderweise auffällig anders frisierte) Staatsanwältin Anita Wegenast (Rachel Braunschweig) ins Schwärmen, wirkt als Running Gag aber bemüht. Anderswo sind Beweggründe wenig plausibel: Der Vertreter Heinrich Vogel (Sebastian Rudolph, Ohnmacht) etwa glaubt, als Mann im mittleren Alter könne er mit Glatze beruflich keinen Erfolg haben – von schwerreichen Zeitgenossen wie Jeff Bezos, Bruce Willis oder Michael Jordan hat er scheinbar nie gehört. Lynn Fischer wiederum muss sich Vorwürfe anhören, als sie einen aus ihrer Wohnung fliehenden Einbrecher aufhalten will – hä?
Unterm Strich ist Rapunzel ein solider Fall mit Licht und Schatten, der nicht ganz an den 2024 mit Von Affen und Menschen begonnenen, positiven Trend am Zürisee anknüpft. Düster und stimmungsvoll auf der einen, klischeelastig und vollgepackt auf der anderen Seite gibt uns der Schweizer Tatort sogar noch Wissen zum Scheiteltragen jüdisch-orthodoxer Frauen an die Hand; und den Herausforderungen, die das Tragen eines solchen mit sich bringt. Die Auflösung des Krimis ist im Übrigen nicht leicht zu erraten – das liegt aber auch daran, dass das wenig glaubwürdige Tatmotiv erst in den Schlussminuten aus dem Hut gezaubert wird.
Bewertung: 5/10
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