Folge 1317
7. Dezember 2025
Sender: WDR
Regie: Till Franzen
Drehbuch: Thorsten Wettcke
So war der Tatort:
Heiser.
Und das liegt nicht nicht an Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann), deren markante, über Jahrzehnte durch Qualm und Champagner geölte Reibeisenstimme zum letzten Mal im Tatort aus Münster erklingt: Die altgediente Juristin, die seit dem Erstling Der dunkle Fleck von 2002 fest zum Figurenensemble der Krimikomödien aus Westfalen zählte, quittiert in diesem Tatort nach 23 Jahren den Dienst (weitere Informationen). Und bekommt im Drehbuch aus der Feder von Autor Thorsten Wettcke (Des Teufels langer Atem) deutlich mehr Platz als in den Fällen aus den Jahren davor: Großmanns Drehtage ließen sich zuletzt an einer Hand abzählen. Vielleicht auch ein Grund, warum sie ihr Engagement nun beendet.
Das nervtötende Dauergekrächze im 1317. Tatort geht stattdessen auf das Konto von Frank Thiel (Axel Prahl), der nicht zum ersten Mal mit einer kratzigen Stimme auffällt: Der Fahrrad fahrende Hauptkommissar trifft Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) einleitend zufällig bei einer feierlichen Präsentation in einer traditionsreichen Fahrradmanufaktur und erklärt dem Rechtsmediziner, er habe am Vorabend bei einem feuchtfröhlichen Klassentreffen am Mikrofon seiner alten Band zu sehr Gas gegeben. Ein Drehbuchkniff, der an Einfallslosigkeit kaum zu überbieten ist: Verkaterte Kriminalisten gab es – dort in Person von Boerne – erst im enttäuschenden Vorgänger Fiderallala und schon unzählige weitere Male in der Krimireihe, zuletzt etwa in Dein Verlust, Kehraus und im Münster-Tatort Rhythm and Love.
Alter Wein in neuen Schläuchen hat in den seichten Krimikomödien mit Thiel und Boerne Tradition, denn das Tatort-Rad wird hier schon seit den 2010er-Jahren nicht mehr neu erfunden. Doch zumindest der Kriminalfall widmet sich diesmal einem unverbrauchten, zur Fahrradstadt Münster wunderbar passenden Thema: Das Drehbuch schlägt den Bogen ins Jahr 1882 und wagt das kühne Gedankenspiel, das Fahrrad sei damals nicht vom Briten John Kemp Starley in Coventry, sondern von einem Vorfahren des jetzigen Besitzers der Fahrradmanufaktur erfunden worden. Zudem zieht sich das Zweirad motivisch durch den gesamten Film: Thiel radelt auf seinem Drahtesel zu Queens legendärem Bicycle Race durch die Gegend, während Boerne seinen Führerschein los ist und notgedrungen umsattelt.
So originell das Thema, so festgefahren die Prinzipien, die im megapopulären Münster-Tatort in gewohnter Manier abgespult werden: Weil bei der Präsentation in der Manufaktur kein neues Fahrrad, sondern eine tiefgefrorene Leiche zum Vorschein kommt, verdonnert Boerne etwa seine treue Assistentin Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch) dazu, stundenlang das Auftauen des Toten zu überwachen. Thiels „Vaddern“ Herbert Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) verrichtet Taxifahrten und war natürlich mal irgendwie mit dem Toten und seiner Sippschaft in Kontakt. Alles schon viele Male dagewesen und ermüdend, ebenso wie die nur noch selten witzigen Witzchen der Hauptfiguren, die sich diesmal unfreiwillig den Spiegel vorhalten.
Pointen, so flach wie die Fahrradwege in Münster, aber immerhin: Trotz einiger bemühter Skurrilitäten (etwa ein SM-Sklave mit Hundemaske oder Boernes Hamlet-Moment) und einer furchtbar unlustigen Kommando-Pimperle-Einlage, die Thiels Assistent Mirko Schrader (Björn Meyer) zelebriert, übertreiben es die Filmschaffenden um Regisseur Till Franzen (Der Mann, der in den Dschungel fiel) mit den lauen Gagsalven nicht. Wenngleich der Tathergang bereits nach einer halben Stunde und dann noch einmal nach einer vollen Stunde geklärt zu sein scheint, funktioniert Die Erfindung des Rades als spannungsfreier, aber doch kurzweiliger Whodunit, dessen Reigen an Verdächtigen sich diesmal auf eine Großfamilie und die kauzige Haushälterin Hilde (Julia Schmitt) beschränkt.
Denn der einleitend erwähnte, tiefgefrorene Verstorbene Albert Hobrecht (Heinrich Giskes, Finsternis) war in seiner Familie keineswegs beliebt: Seinem Bruder Kurt Hobrecht sen. (Hannes Hellmann, Schweigen), der die Fahrradmanufaktur leitet, gönnte er kaum das Schwarze unter den Fingernägeln und auch seine Neffen Kurt Hobrecht jun. (Simon Steinhorst) und Konstantin Hobrecht (Franz Hartwig, Auge um Auge) bringen Mordmotive mit. Ebenso seine übergangene Nichte Klara „Löckchen“ Hobrecht (Karolina Lodyga, Feuer) und Konstantins Gattin Maria Hobrecht (Oona von Maydell, Hinter dem Spiegel), der trotz wenig Kamerazeit eine Schlüsselrolle zukommt. Definitiv unschuldig sind allein Kurts Ehefrau Dagmar Hobrecht (Viola Neumann) und der Vorfahre Knut Hobrecht (Roman Wieland), weil schon verstorben.
Wäre da nicht der Blick auf große und kleinere Namen in der Besetzungsliste, wäre auch die Auflösung eine knifflige Angelegenheit geworden. So aber wird sie für den erfahrenen Teil des TV-Publikums zum Kinderspiel. Dennoch hat Die Erfindung des Rades seine stärksten Momente auf der Zielgeraden des Films – dann nämlich bereitet der WDR Wilhelmine Klemm, die rein zufällig mal mit Kurt Hobrecht sen. liiert war, einen zwar kitschigen, aber sehr gelungenen und würdigen Abschied im Kreise der Kollegen. Selbstverständlich ist das leider nicht: Der schon Jahre vor ihr aus der Krimireihe ausgestiegenen Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter, letzter Auftritt im Impro-Tatort Das Team und kurzes Jenseits-Comeback in Limbus) wurde er damals nicht zuteil. Na also – es geht doch!
Bewertung: 5/10
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