Folge 1319
21. Dezember 2025
Sender: NDR
Regie: Hans Steinbichler
Drehbuch: Alexander Adolph, Eva Wehrum
So war der Tatort:
Niedersächsisch-niederländisch, zum Ersten.
Ein guter Tag basiert auf einer SPIEGEL-Story von 2021 und ist der erste Teil einer Tatort-Doppelfolge, deren Hälften die ARD am 4. Advent 2025 direkt nacheinander ausstrahlt – bis dato ein Novum in der Krimireihe. Und sie führt den Hamburger Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) nicht nur erneut nach Niedersachsen, sondern auch jenseits der niederländischen Grenze: Auf einem Campingplatz in der Nähe des Küstenortes Delfzijl ist der deutsche Autohändler Joe Glauning (Andrei Viorel Tacu) gewaltsam von einem Campingplatz entführt worden. Blutspuren am verwüsteten Ort des Geschehens lassen nichts Gutes erahnen. Wurde Glauning, der als verdeckter Ermittler unter organisierten Verbrechern ermittelt hat, womöglich ermordet?
Bei der Suche nach der Antwort auf diese Frage stellt der NDR dem bezüglich der verdeckten Ermittlungen zunächst ahnungslosen Falke, der im Vor-Vorgänger Schweigen allein agierte und im Vorgänger Im Wahn zusammen mit der Göttinger Ex-Tatort-Ermittlerin Anais Schmitz (Florence Kasumba) in Hannover zum Einsatz kam, erneut zwei neue Kolleginnen und Kollegen zur Seite: Da ist zum einen die niederländische Kommissarin Lynn de Baer (Gaite Jansen), die trotz ihres jungen Alters viel Erfahrung mit organisierter Kriminalität vorweisen kann. Und da ist der nerdige IT-Spezialist Mario Schmitt (Denis Moschitto, Türkischer Honig): Er wird, so gab der NDR vor der TV-Premiere bekannt, ab sofort Falkes fester Ermittlungspartner.
Beide Engagements sind für den 1319. Tatort ein großer Gewinn: Während de Baer ihre deutschen Kollegen in den Niederlanden organisatorisch an die Hand nimmt, Sprachbarrieren überbrückt und ihr Wissen über den inhaftierten Mafiaboss Ahmed Saidi (Yousef Sweid) mit ihnen teilt, stiehlt Schmitt bei seinem Debüt nahezu jede Szene. Pausenlos mit Ohrstöpseln für die „Denkmusik“, Tablet oder Laptop bewaffnet, irritiert der Cyberkriminalist und Eigenbrötler mit dampfenden E-Zigaretten im Dienstwagen und Verweisen aufs Tempolimit, platzt unangemeldet in Hotelzimmer oder Befragungen und verrichtet unterm Strich doch erstklassige Arbeit. Die Drehbuchautoren Alexander Adolph (Taxi nach Leipzig) und Eva Wehrum zelebrieren die IT-Klischees humorvoll an ihm durch und verleihen Schmitt beinahe autistische Züge.
Mit Blick darauf, dass Ein guter Tag nur den ersten Teil der in niederländischer Co-Produktion arrangierten Doppelfolge bildet, ist wenig überraschend, dass das Geschehen zunächst recht unübersichtlich gerät und wir die Handlungsfäden erst sortieren müssen. Der Plot springt wild zwischen Orten in den Niederlanden, dem grenznahen Emden und Hannover hin und her. Das Ermittlertrio Falke/Schmitt/de Baer groovt sich zwar fix ein, es müssen aber auch Grabenkämpfe mit dem LKA-Kollegen Roland Krebcke (Matthias Lier, Angst im Dunkeln) und Falkes Chefin Dr. Nadolny (Samia Chancrin, Dein gutes Recht) ausgefochten werden. Nicht alle wissen alles, nicht alle erzählen alles. Die telefonisch zugeschaltete Nadolny hat ihr Büro in der Landeshauptstadt – ebenso wie Falke, der seinen Dienstsitz in Hamburg zuletzt im Tatort Was bleibt besuchte und fleißig im Revier von LKA-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) wildert.
Auch auf Seiten der Kriminellen wollen die Bösen, die abgrundtief Bösen und die nicht ganz so Bösen auseinandergehalten werden, was allerdings nicht schwerfällt: Der albanische Gastronom Ervin Zoric (Sascha Geršak, Die Rache an der Welt) verkörpert den Prototypen eines leicht karikaturesken, schwer zu überführenden Tatort-Kriminellen, der zwar krumme Dinger dreht, aber mit den heftigen Kapitalverbrechen meist nur indirekt zu tun hat. Snackbar-Kellner Sami Bakker (Hamza Iallouchen) wiederum gerät unfreiwillig auf die schiefe Bahn, während der im Hochsicherheitsgefängnis sitzende Mocro-Mafiaboss Ahmed Saidi das fiese 2025er-Pendant zum mächtigen Firat Astan bildet, der dem früheren Hamburger Tatort-Ermittler Nick Tschiller (Til Schweiger) das Leben schwermachte (letztmalig im Kino-Tatort Tschiller: Off Duty).
Überhaupt weht eine leichte Tschiller-Brise durch diesen knallharten Küsten-Tatort, denn der erstmalig für die Krimireihe engagierte Regisseur Hans Steinbichler gestattet uns kaum Verschnaufpausen und setzt stattdessen auf Tempo und Dynamik. Spannend arrangiert und ohne Schnörkel erzählt, mündet der erste Teil der mit mehreren Actionsequenzen aufgepeppten Doppelfolge erwartungsgemäß in tödliche Dramen. Enden tut sie mit einem Cliffhanger, der die Vorfreude auf die Fortsetzung Schwarzer Schnee steigert – wir kennen das aus seriellen Produktionen und Streamingformaten. Für sich allein genommen – und das unterscheidet den Tatort-Zweiteiler von älteren Doppelfolgen wie Ihr Kinderlein kommet und Kinderland – funktioniert der Film allerdings nicht, weil nahezu alle Handlungsstränge offen bleiben.
Auch das lesefaule Publikum wird bei diesem Tatort bis an die Schmerzgrenze geführt: Ein gefühltes Drittel der Dialoge wird in niederländischer Sprache geführt und untertitelt. Ein Extremfall in der Krimireihe, ähnlich hoch ist der Untertitelanteil allenfalls im Polizeiruf 110 aus dem deutsch-polnischen Grenzgebiet. Wer damit leben kann, darf sich an einem flott erzählten und rasant inszenierten Mafia-Tatort erfreuen, dessen einleitende, an den zweiten Falke-Tatort Mord auf Langeoog erinnernde Nordseeidylle schnell einem düsteren Thriller-Setting weicht.
Bewertung: 8/10
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