Folge: 586 | 16. Januar 2005 | Sender: NDR | Regie: Christiane Balthasar
Bild: NDR/Marion von der Mehden |
So war der Tatort:
Disharmonisch.
Zugegeben, das wäre mit Blick auf die Krimireihe nicht unbedingt eine Erwähnung wert – man denke nur an Hauptkommissar Peter Faber (Jörg Hartmann) und sein Team aus dem Dortmunder Tatort, in dem seit dem ersten Einsatz im Jahr 2012 (in Alter Ego) regelmäßig die Fetzen fliegen.
Doch die Häufigkeit und Vehemenz, mit der beim sechsten Tatort der niedersächsischen LKA-Ermittlerin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) gestritten, verheimlicht, gelogen und hintergangen wird, ist dann doch bemerkenswert. Beispiel gefällig? Bitte sehr: Selbst die diensthabende und sichtlich mitgenommene Pathologin (Gilla Cremer, Wenn Frauen Austern essen) lässt bei der obligatorischen Leichenschau im Gespräch mit der Hauptkommissarin aus Hannover ordentlich Dampf ab.
LINDHOLM:Kannten Sie den Toten?PATHOLOGIN:Nein, nein. Tschuldigung. Mein Mann hat heute Morgen die Scheidung eingereicht. Wegen so einer jungen, blonden Pissnelke.
Exemplarisch für die in der 586. Tatort-Folge fast durchgängig herrschende Disharmonie steht der jahrgangsbeste Polizeischüler und Auftakttote Gerd Lähner (Jan Christoph Pohl in seiner ersten TV-Rolle überhaupt), der sich im Zuge seiner Ausbildung an der Landespolizeischule Niedersachsen offenbar mit jedem und jeder angelegt hat und nicht gerade als Everybody’s Darling galt.
Einleitend werden wir Zeugen, wie er während einer Übung von seinen Mitschülern Michael Bronner (Christian Blümel, Kaltes Herz), Lothar Grammert (Martin Kiefer, Heimatfront) und Birgit Wels (Lale Yavas, zwischen 2006 und 2012 als Pathologin Dr. Rhea Singh im Tatort aus Saarbrücken zu sehen) verprügelt und kurz darauf tot aufgefunden wird. Die Kamera ist bei diesem Mord allerdings nicht mehr dabei – wer also hat den integren Musterschüler, der zahlreiche Verweise seiner Kommilitonen zu verantworten hatte, auf dem Gewissen?
Die eigentlich noch im Urlaub weilende Lindholm wird mit der Klärung dieser Frage betraut und deshalb nach Hannoversch Münden zitiert. Nach anfänglichem Zögern stimmt sie zu, sich als Dozentin in die Landespolizeischule einzuquartieren und innerhalb der Schülerschaft verdeckt zu ermitteln. Das ist auch bitter nötig, denn abgesehen von Sandra Wiegand (Katharina Schüttler, Bombenstimmung), der das Opfer kurz vor seinem Ableben das Herz gebrochen hatte, machen die angehenden Gesetzeshüter – darunter auch der ehrgeizige Malte Brüning (zum Zeitpunkt der Erstausstrahlung noch eher unbekannt: Hanno Koffler, Bausünden) – keineswegs den Eindruck, den Tod ihres Mitschülers durch konstruktive Mitarbeit aufklären zu wollen.
Vielmehr hat man in diesem Mikrokosmos der Lehreinrichtung das Gefühl, dass so ziemlich jeder etwas zu verbergen hat und alle nur gegenseitig mit dem Finger aufeinander zeigen. Selbst der nach Außen so korrekt und diszipliniert wirkende Übungsleiter Döring (Arnd Klawitter, Wolfsstunde) bildet keine Ausnahme und wird von Lindholm bei der Durchsuchung von Lähners Zimmer auf frischer Tat ertappt. Einmal mehr stellt sich die Frage nach der Darstellung von Polizeicharakteren und ihrem moralischen Kompass im Tatort, denn einmal mehr kommen sie alles andere als gut weg.
Lindholms Ermittlungen erweisen sich als zäh und konzentrieren sich lange auf Grammert und Bronner. Sie haben sich fatalerweise auf die illegalen Machenschaften des skrupellosen Autohausbesitzers Sellner (Peter Jordan, mimte von 2008 bis 2012 den Cenk-Batu-Vorgesetzten Uwe Kohnau im Tatort aus Hamburg) eingelassen. Die Drehbuchautoren Susanne Schneider (Blutsbande) und Thorsten Näter (Abschaum) widmen diesem reizvollen Handlungsstrang, der in einer dramatischen Aktion auf einem Weserdampfer gipfelt, viel Zeit, doch birgt das einen Wermutstropfen: Durch den Fokus auf die beiden Polizeischüler bleiben die anderen Figuren auf der Strecke. Erst im letzten Filmdrittel bekommen sie noch schnell mögliche Mordmotive mit der Brechstange aufgedrückt. Das lässt die Glaubwürdigkeit zusätzlich bröckeln und erschwert das Miträtseln, da der Täter und seine Beweggründe nur oberflächlich beleuchtet werden.
Und Lindholm? Die befindet sich diesmal auch privat in einer verzwickten Lage. Die Filmemacher spinnen die im soliden Vorgänger Märchenwald begonnene Affäre mit ihrem Verehrer Tobias Endres (Hannes Jaenicke, Der rote Schatten) weiter und die beiden dürfen sich diesmal sogar beruflich begegnen. Das birgt zusätzliche Spannungen, wirkt aber – der gekonnten Inszenierung von Christiane Balthasar (Salzleiche) sei dank – nie zu aufgesetzt oder befremdlich. Im Gegenteil: In Kombination mit Lindholms treu ergebenem Mitbewohner Martin Felser (Ingo Naujoks) entwickelt sich eine wunderbar leichte Ménage-à-trois, die nicht nur für die angenehm witzigen Momente in dieser Tatort-Folge sorgt, sondern der Figur Felsers auch endlich etwas mehr Kontur verleiht – wenn auch nur einmalig.
Bewertung: 5/10
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