Folge 1289
12. Januar 2025
Sender: NDR
Regie: Maria Solrun
Drehbuch: Katrin Bühlig
So war der Tatort:
Erheblich verspätet.
Der unter Regie der Isländerin Maria Solrun entstandene Tatort Borowski und das hungrige Herz wurde nämlich schon im September 2021 gedreht und gut ein Jahr später beim Filmfest Hamburg 2022 der Öffentlichkeit präsentiert – seinen Weg ins TV fand der Krimi aber erst dreieinhalb (!) Jahre nach seinem Dreh. Damit übertraf der NDR sogar die lange Wartezeit auf den starken Kieler Tatort Borowski und der Schatten des Mondes, der „nur“ zweieinhalb Jahre bis zur Fernsehpremiere im Jahr 2022 benötigte – der Sender priorisierte stattdessen die Erstausstrahlungen von Borowski und das unschuldige Kind von Wacken, Borowski und der Wiedergänger sowie Borowski und das ewige Meer, die alle später gedreht wurden.
Über die Hintergründe ist wenig bekannt – sieht man davon ab, dass der NDR Borowski und das ewige Meer aufgrund seines schnelllebigen KI-Themas vorzog. Auch am selten jugendfreien und für die 20-Uhr-Schiene damit durchaus heiklen Stoff aus der Feder von Drehbuchautorin Katrin Bühlig (Die dritte Haut) kann es eigentlich nicht liegen: Wenngleich Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) in seinem vorletzten Fall mit Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) in der Welt der Sexsüchtigen ermittelt, sparen die Filmschaffenden explizite Bilder aus und schließen rechtzeitig von außen die Zimmertür, wenn das Mordopfer Andrea Gonzor (Anna König) in seiner Wohnung einleitend eine siebenköpfige Gangbang-Party feiert.
Ein ähnliches Szenario präsentierte uns 2017 der tolle Münchner Tatort Hardcore, bei dem eine junge Frau nach einem Bukkake-Dreh starb und die altgedienten Kommissare Ivo Batic und Franz Leitmayr hinter den Kulissen der deutschen Pornoindustrie ermittelten – im direkten Vergleich kann der Fall aus Kiel mit dem aus München aber nicht mithalten. Zu über- und durchschaubar fällt der Kreis der Verdächtigen aus, zu selten schlägt das Spannungsbarometer nach oben aus. Und einige Charaktere und Handlungsschlenker irritieren eher, als originell anzumuten – etwa Sahins bemühter Ausflug in einen Outdoor-Swingerclub, für den Borowski an diesem Abend leider keine Zeit hat.
Sahin lässt sich bei ihrer völlig verregneten Stippvisite im Etablissement des herrlich überzeichneten Ralf Petersen (Kailas Mahadevan, seit 2015 als Rechtsmediziner im Tatort aus Ludwigshafen zu sehen) von ihrem früheren Lover Juri Rodinski (Robert Finster) begleiten. Eine seltsam künstlich arrangierte Begegnung, die im 1289. Tatort zwar leblos, aber nicht folgenlos bleibt: Man kann die Uhr danach stellen, dass die beiden im Bett seines Hotelzimmers landen und das Dauerthema Sex damit auch im Privatleben der Kriminalistin verankert wird. Für die Krimireihe ist ein solches Manöver typisch, erst einen Sonntag zuvor ließ es sich im vielgelobten Kölner Tatort Restschuld beobachten.
Was Borowski und das hungrige Herz, in dem Mias Ohrwurm Hungriges Herz auf der Tonspur nicht fehlen darf, zu einer phasenweise sehr anstrengenden Angelegenheit macht, ist allerdings nicht diese dünne Liaison, die auf die Horizontale im Kieler Tatort auch angesichts der einleitend erwähnten Wartezeit auf die TV-Premiere des Krimis keine Auswirkungen mehr hat. Es ist vielmehr die schrille Hauptverdächtige, die Klaus Borowski in ihr Herz schließt und die zur Stalkerin avanciert: Die psychisch auffällige Nele Krüger (grandios: Laura Balzer) arbeitet tagsüber als unauffällige Fischbrötchenverkäuferin, befriedigt sich nach Feierabend aber schon mal mit einem Schalldämpfer oder schießt sich eine Tackernadel in den Oberarm, wenn sie die Lust danach verspürt.
Die Frau ist ein wandelndes Rätsel, und mit Blick auf die Auflösung viel zu verdächtig, als dass sie als Mörderin ihrer Freundin, die sie in einer anonymen Selbsthilfegruppe für Sexsüchtige kennengelernt hat, infrage käme. Und so bleiben mit dem Ex-Freund Dr. Jan Lottmann (Peter Sikorski, Unklare Lage) sowie den vom Mordopfer genervten Nachbarn Barbara (Lina Wendel, Ein paar Worte nach Mitternacht) und Peter Döring (Martin Umbach, Kopfgeld) nur drei Verdächtige übrig. Wir durchschauen schnell, dass die beiden deutlich mehr Kamerazeit (und eine entlarvende Rückblende) erhalten als bei Augenzeugen üblich und Peter Döring wohl nicht von ungefähr ein T-Shirt seiner Lieblingsband Guns N‘ Roses trägt; Borowski und Sahin hingegen brauchen eine gefühlte Ewigkeit dafür, die Zusammenhänge herzustellen.
Überhaupt wirkt Borowski in seinem vorletzten Tatort-Auftritt bisweilen recht ratlos: Für das Thema Sexsucht scheint er die falsche Person zu sein, hier springt zumindest Sahin mit frechen Einwürfen in die Bresche. Ein echtes Interesse an der freidrehenden Hauptverdächtigen kauft man ihm ebenfalls nicht ab – ansonsten hätte sich der kauzige Kieler Kommissar wohl auch stärker für Nele Krügers Baby interessiert, um das sich in diesem Krimi auffallend selten gekümmert werden muss. Weil uns die junge Frau fremd bleibt, verpufft auch ein später, ohnehin vorhersehbarer Twist ohne Nachhall – und Borowski und das hungrige Herz ist keine dieser Kieler Folgen, die noch lange in Erinnerung bleiben.
Bewertung: 4/10
Drehspiegel: Letzter Borowski-Tatort schon im Kasten
Abschied: Alles zum Ausstieg von Axel Milberg und seiner Nachfolgerin
Ausblick: Dieser Tatort läuft am nächsten Sonntag
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