Folge: 1132 | 17. Mai 2020 | Sender: WDR | Regie: Isa Prahl
Bild: WDR/Thomas Kost |
So war der Tatort:
Eng verknüpft mit dem soliden Kölner Tatort Kaputt von 2019, an den Gefangen inhaltlich anschließt.
Knapp ein Jahr ist es her, dass Hauptkommissar Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) im Dienst seine jüngere Kollegin Melanie Sommer (Anna Brüggemann) erschoss, um ein anderes Leben zu retten – aber ausgestanden ist die Sache für ihn damit noch nicht. Denn Sommer erscheint ihm in Tagträumen und Halluzinationen – am Schießstand, in der Umkleidekabine oder am Beckenrand des Schwimmbads, in dem der altgediente Kölner Kommissar einsam seine Bahnen zieht.
Seinem langjährigen Kollegen Freddy Schenk (Dietmar Bär) und dem gemütlichen Assistenten Norbert Jütte (Roland Riebeling) bleibt sein mentaler Zustand nicht verborgen, doch wirklich Zugang finden sie zu Ballauf nicht – und auch Polizeipsychologin Lydia Rosenberg (Juliane Köhler), die früher das Bett mit Ballauf teilte und nach dreijähriger Abstinenz mal wieder mit von der Partie ist (letzter Auftritt in Nachbarn), beißt bei dem angeschlagenen Ermittler auf Granit.
Dabei würde ein Ballauf in Top-Form dringend gebraucht: Professor Krüger (Thomas Fehlen, Fegefeuer), der Chefarzt einer psychiatrischen Klinik, wurde ermordet, und es ist an den Ermittlern, den Mörder zu finden. Ihr erster Weg führt an seinen Arbeitsplatz – in jene Klinik also, in der Ballauf momentan vielleicht selbst ganz gut aufgehoben wäre.
SCHENK:Du kannst das nicht ewig mit dir rumtragen.BALLAUF:Jetzt sag mir nicht, was ich kann und was ich nicht kann. Lass uns einfach unseren Job machen.
Die enge inhaltliche Verknüpfung zweier viele Monate auseinander liegender Tatort-Folgen ist in Köln selten, denn anders als in den Folgen aus Berlin oder Dortmund gibt es in der Domstadt schon seit Jahren keine nennenswerte Background-Story mehr, die in Verbindung gebracht werden muss.
Das Drehbuch von Christoph Wortberg (Familien) ist aber noch aus einem weiteren Grund bemerkenswert: Standen und stehen die Filme mit Ballauf und Schenk meist für solide, aber überraschungsarme Krimis nach erfolgserprobtem Rezept, wartet der doppelbödig arrangierte Whodunit Gefangen im Schlussdrittel mit einem knackigen Twist auf, der auch nach dem Abspann noch nachwirkt. Im dramaturgisch ähnlich arrangierten Tatort Weiter, immer weiter hat das gut ein Jahr zuvor bereits hervorragend funktioniert – warum also kein weiteres Mal?
Dabei geht im 1132. Tatort eine Stunde lang alles so übersichtlich und durchgeplant seinen Gang, wie man es in Köln gewohnt ist: Dem einleitenden Leichenfund folgen die Erkenntnisse von Rechtsmediziner Dr. Roth (Joe Bausch) und Befragungen im Umfeld des Opfers – ehe der Weg der Kommissare, die die üblichen Fragen nach Alibis und Mordmotiven durchexerzieren, zu Bekannten des Opfers und in einen Tennisclub führt. Kleinere Ungereimtheiten in den Aussagen und Szenen hinter dem Rücken der Kommissare geben Hinweise auf den möglichen Mörder – und nach einer guten Stunde scheint der Fall dann sogar schon gelöst.
Wie so häufig im Tatort liest sich die Indizienlage gegen den tatverdächtigen Rechtsanwalt Florian Weiss (Andreas Döhler, Ich hab im Traum geweinet) allerdings so erdrückend, dass ein Geständnis nur Formsache zu sein scheint – und wer schon nach 60 Minuten praktisch als Mörder überführt ist, hat am Ende natürlich nichts mit der Sache zu tun. Ab dem Moment, in dem sich offenbart, dass der Weg zur Auflösung nur über seine Gattin Christine (Franziska Junge, Es lebe der Tod) und deren Schwester, die Borderline-Patientin Julia Frey (tolles Tatort-Debüt: Frida-Lovisa Hamann) führt, entfaltet Gefangen seinen größten Reiz und bleibt bis auf die Zielgerade hochspannend. Tolle Wendung – starkes Finale!
Kleinere Schwächen in der ansonsten so überzeugenden Geschichte, die Regisseurin Isa Prahl stimmungsvoll in Szene setzt, finden sich aber doch: Es scheint ein ungeschriebenes Tatort-Gesetz zu sein, dass Journalisten und Juristen stets in ein negatives Licht rücken müssen (vgl. Ohnmacht, Roomservice oder Der Elefant im Raum). Diesmal trifft es Rechtsanwalt Weiss, der die Kommissare hochnäsig abblitzen lässt und Antworten auf moralischen Fragen keinen hohen Stellenwert zurechnet. Auch das Wiedersehen zwischen Ballauf und Rosenberg bietet keinen großen Mehrwert, denn das Trauma des Kommissars rückt irgendwann in den Hintergrund und wird erst in der Schlussminute wieder aufgegriffen.
Der Clou dieser Tatort-Folge ist da längst erzählt.
Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort „Borowski und der Fluch der weißen Möwe“
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