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Schützlinge

Folge: 493 | 3. März 2002 | Sender: WDR | Regie: Martin Eigler

Bild: WDR/Michael Böhme
So war der Tatort:
Gestenreich.
Große Worte sind es nämlich nicht, die den 19. Einsatz der Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) kennzeichnen. Und das, obwohl in Schützlinge intensiv miteinander kommuniziert wird. Ballauf und Schenk begeben sich – ähnlich wie 14 Jahre später ihr Saarbrücker Kollege Jens Stellbrink (Devid Striesow) in Totenstille – in die Welt der Gehörlosen, die es nicht nur zu verstehen, sondern in der es sich auch zu verständigen gilt.
Das fällt besonders Schenk schwer, der zu Beginn noch auf seinen Partner verzichten muss. Ballauf weilt auf einem Workshop in Brüssel, während der überarbeitete Schenk zu einem gescheiterten Einbruch gerufen wird: Drei Männer sind in einen Schuppen eingestiegen und über die Leiche des Hausverwalters Volker Andresen „gestolpert“. Der wurde, Rechtsmediziner Dr. Roth (Joe Bausch) zufolge, erschlagen. Einer der Einbrecher, der gehörlose Andy Eckert (Andreas Unruh), wird noch am Tatort vom Eigentümer des Schuppens, Horst Merz (Karl Kranzkowski, Das letzte Rennen), gestellt. 
Bei der Vernehmung durch Schenk und den empathielosen Hauptmeister Heinz Obst (Arved Birnbaum), die die Beeinträchtigung des Verdächtigen zunächst nicht bemerken, kommt es aber zu einem tragischen Zwischenfall: Beim Anlegen der Handschellen reißt sich Eckert los, stürmt aus dem Vernehmungszimmer und stürzt sich vor den Augen Schenks aus dem Fenster.
Ein dramatischer und mitreißender Auftakt, der aber auch den gefühlsduseligen Duktus der 493. Tatort-Folge vorgibt. Der Tod des jungen Mannes setzt Schenk mächtig zu. Sichtlich gezeichnet ringt der Ermittler in der Folge um Fassung, selbst die Pommes von der im Kölner Tatort oft besuchten Wurstbude wollen ihm nicht schmecken. Auf tröstende Worte oder Verständnis des nach seiner Rückkehr aus Brüssel auffallend arroganten Ballauf kann Schenk dabei nicht hoffen, und es wird mehrfach laut zwischen den beiden. Das missfällt auch Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt).
Parallel dazu platzieren die Drehbuchautoren Sönke Lars Neuwöhner (Flash) und Sven S. Poser (Kontrollverlust) einen zweiten Handlungsstrang, der einen deutlich leiseren Erzählton anschlägt: Wir begleiten die Odyssee des ebenfalls gehörlosen und an dem eingangs erwähnten Einbruch beteiligten Oktay Kutlucan (Erhan Emre, Liebe am Nachmittag). Er scheint irgendwie in den Fall verwickelt zu sein und versucht verzweifelt Geld aufzutreiben, um mit seiner Freundin Svenja (Jana Pallaske, Bausünden) abhauen zu können.. 
Doch so sehr uns seine Geschichte auch berührt: Wir ahnen früh, dass dieser arme Tropf, der von Svenjas Vater (Hartmut Volle, spielte von 2013 bis 2019 den Kriminaltechniker Horst Jordan im Saarbrücker Tatort) und allen anderen Seiten nur Ablehnung erfährt, als Mörder nicht in Frage kommt. Da hat der Klischee-Ganove Jürgen Eckert (André Meyer), Andys Bruder und Nummer drei im Einbrechertrio, schon eher Täterpotenzial. Wer sich im Kölner Tatort als Fan von Borussia Mönchengladbach outet, ist halt auch per se schon verdächtig.
Recht früh büßt der von Regisseur Martin Eigler (Zerrissen) inszenierte Whodunit damit an Spannung ein. Man setzt stattdessen auf Momente, die zu Herzen gehen. Insbesondere die Szene, in der sich eine Gruppe gehörloser Schülerinnen zur Beschreibung Schenks eine eigene Gebärde (Polizist Bauch) ausdenkt, sticht heraus. Dass aufgrund der Thematik häufig mit Gesten kommuniziert wird, tut dem Verständnis keinen Abbruch. Im Gegenteil: Dass einige Darstellende erst extra die Gebärdensprache lernen mussten, verleiht dem Film Authentizität.
Diese verschenken die Filmemacher leider in der Darstellung des „Exil“, einer Art Jugendzentrum, das sowohl gehörlosen als auch hörenden Jugendlichen die Möglichkeit zum Austausch bietet. Was innerhalb der Einrichtung vor sich geht und wie die Lebenswelt gehörloser Menschen aussieht, wird meist nur erzählt. Einen echten Einblick gewinnen wir nicht. Immerhin: Der gehörlose Schauspieler Marco Lipski mimt den Leiter des „Exil“, Michael Hoffmann, der, unterstützt von seiner Frau Jennifer (Naomie Krauss, Vielleicht), die titelgebenden Schützlinge betreut und dem verdutzten Schenk direkt Nachhilfe in Sachen Sprachsensibilität geben muss:

FREDDY SCHENK:
Ich bin nicht so geübt im Umgang mit Taubstummen.
JENNIFER HOFFMANN:
Mein Mann sagt, er bevorzugt das Wort „gehörlos“. Stumm ist hier keiner.


An anderen Stellen tragen die Filmemacher einfach zu dick auf: Beim triefend kitschigen Finale etwa, in dem sich Schenk zwar rehabilitieren darf, das sich aber auch ziemlich langatmig und vorhersehbar gestaltet.
Bewertung: 5/10

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