Folge: 1110 | 24. November 2019 | Sender: ORF | Regie: Nikolaus Leytner
Bild: ARD Degeto/ORF/Graf Film/Helga Rader |
So war der Tatort:
Gedreht vor prächtiger Naturkulisse.
Denn nach den jüngsten Ausflügen ins tschechische Grenzgebiet (in Grenzfall), an den malerischen Wolfgangsee (in Wahre Lügen) oder in die beschauliche Steiermark (in Virus) verschlägt es Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) im Tatort Baum fällt ein weiteres Mal in die Provinz fernab ihrer österreichischen Wahlheimat. „500 Kilometer fahren für ’nen Vermissten – auch nicht schlecht“, hält Fellner auf der einleitenden Autofahrt fest, und Eisner murrt zurück: „Wenn er wenigstens tot wäre.“
Dass die Wiener Ermittler an den Fuße des Großglockners in Kärnten geschickt werden, haben sie ihrem Chef Ernst Rauter (Hubert Kramar), diesmal nur am Telefon zugeschaltet, und dem Wiener Polizeipräsidenten zu verdanken: Der pflegt einen guten Kontakt zum Vater (Johannes Seilern, Telefongeld) des vermissten Hubert Tribusser (Christoph von Friedl, Baum der Erlösung), der als Juniorchef in einem großen Holzunternehmen gearbeitet hat – und von dem nur noch ein künstliches Schultergelenk in der Asche des firmeneigenen Brennofens gefunden wird. Also doch kein Vermisstenfall, sondern Mord – und angesichts der zahlreichen Affären und sonstigen Eskapaden, die sich Tribusser vor seinem Ableben geleistet hat, geben sich die Tatverdächtigen im Mölltal die Klinke in die Hand.
Viel Arbeit für Eisner und Fellner, die wohl oder übel Quartier beim mürrischen Gastwirt Drobnig (Wolf Bachofner, Eulenburg) beziehen und vor Ort erstmal ihren knurrenden Magen in den Griff kriegen müssen.
EISNER:
Bibi, das ist ein Arschloch.
FELLNER:Ja, aber sicher kocht das Arschloch gut und ich hab Hunger!
Regisseur Nikolaus Leytner (Operation Hiob) und Drehbuchautorin Agnes Pluch haben einen klassischen Whodunit arrangiert, an dem die prachtvollen Gebirgslandschaften und die spektakuläre Naturkulisse aber fast schon das Aufregendste sind.
In der 1110. Tatort-Folge geschieht ansonsten fast nichts, was man in der Krimireihe nicht schon gesehen hätte: ein rätselhafter Mordfall, ein gutes Dutzend Tatverdächtige, Ermittlungen im privaten und beruflichen Umfeld des Toten – und zwei perfekt aufeinander eingespielte Kommissare, die trotz ihrer Verschiedenheiten als Pärchen harmonieren und den Täter am Ende überführen.
Mit Eisners früherem Weggefährten Alois Feining (Karl Fischer), der als Polizeichef im Mölltal eine neue Heimat gefunden hat und fleißig mit buddhistischen Sprichwörtern um sich wirft, gibt es zudem eine altbekannte Nebenfigur der Kategorie „alter Freund“, der den Großstadtbullen in Erinnerungen schwelgen lässt – gleichzeitig lässt sich in diesem formelhaften Provinzkrimi die Uhr danach stellen, dass Fellner dem älteren Kollegen nicht über den Weg traut und sich irgendwann offenbart, dass dieser nicht mit offenen Karten spielt.
Auch der Spannungskurve sind die nostalgischen Szenen mit Eisner und Feining weniger dienlich als der Charakterzeichnung – da nützt auch der stimmungsvolle Rolling-Stones-Soundtrack wenig, zu dem fleißig gekickert und Bier getrunken wird. Der starke Dialekt der Dialoge wird zudem nicht jedem Zuschauer schmecken, während Tatort-Puristen ansonsten voll auf ihre Kosten kommen: Die Auflösung der Täterfrage ist nicht leicht zu erraten und klärt sich erst in den Schlussminuten. Wer vielschichtige Figuren, überraschende Entwicklungen und eine mitreißende Story erwartet, schaut aber über weite Strecken in die Röhre.
Auch auf drei Figuren, die in den letzten Jahren fest zum Ensemble zählten und den Wiener Tatort dabei stets bereichert haben, müssen wir in Baum fällt verzichten: Neben dem einleitend erwähnten Kripochef Rauter fehlen auch Assistent „Fredo“ Schimpf (Thomas Stipsits) und Kult-Kiezgröße Inkasso-Heinzi (Simon Schwarz). Dafür gibt es ein Wiedersehen mit Schauspielerin Verena Altenberger (Hundstage), die wenige Wochen zuvor ihr umstrittenes Debüt als Münchner Polizeiruf 110-Ermittlerin feierte und hier als tatverdächtige Angestellte des Sägewerks zu sehen ist: Altenberger reiht sich nahtlos in einen soliden Cast ein, in dem niemand enttäuscht und niemand heraussticht.
Auch ihrem Bildungsauftrag wird die ARD in dieser fast in jeder Hinsicht durchschnittlichen Tatort-Folge gerecht: Dank Umweltaktivist Gerhard Holzer (David Oberkogler, Kein Entkommen) erfahren wir einiges über die Mechanismen der Kärtner Forstwirtschaft, die ihr Holz nicht etwa aus heimischen Wäldern, sondern zu Dumpingpreisen aus Osteuropa bezieht.
Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort „Die Pfalz von oben“
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