Denn als die Vergiftung des russischen Kreml-Kritikers die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland gerade erst in eine tiefe Krise gestürzt hat, ist Funkstille zwar seit Monaten abgedreht, erzählt aber von einem ganz ähnlichen Manöver. Perfekter hätte man die TV-Premiere im September 2020 kaum terminieren können.
Auch sonst treffen die Drehbuchautoren Stephan Brüggenthies und Andrea Heller, die auch den Frankfurter Vor-Vor-Vorgänger Das Monster von Kassel konzipierten, den Zeitgeist: Hauptkommissar Paul Brix (Wolfram Koch) hat etwa mit den Tücken der E-Roller zu kämpfen, die zum ersten Mal in einem Tatort zu sehen und zu diesem Zeitpunkt fester Bestandteil der deutschen Innenstädte sind.
Das Mordopfer stammt ebenfalls aus der Blütezeit der Influencer: Sebastian Schneider begeistert mit „Lost Places“ auf YouTube – pardon: YouSeee – über 100.000 Abonnenten und ist in einer leerstehenden Fabrik in den Tod gestürzt. Bei Brix, seiner Kollegin Anna Janneke (Margarita Broich) und ihrem nachnamenlosen Assistenten Jonas (Isaak Dentler) keimen Zweifel am Tathergang auf, die der auffallend griesgrämige Pathologe bestätigt.
PATHOLOGE:
Schwerer Gegenstand. Ohne Kanten. Dicker als ’ne Eisenstange. Und dann mit sehr viel Wucht gegen den Schädel geschlagen. Wollen Sie selber nochmal gucken gehen?
BRIX:
Nee. Danke.
Funkstille ist bei näherer Betrachtung aber trotz seines Zeitgeistkolorits auch eine Reminiszenz an Hollywood, The Americans, den Agentenfilm und längst vergangene Tage.
Den Zuschauern – und vor allem den Krimi-Puristen unter ihnen – macht es das schwer: Der polnische Regisseur und Tatort-Debütant Stanislaw Mucha hat zwar einen mutigen Tatort inszeniert, springt aber permanent zwischen den Genres. Sein Film ist eine (über-)ambitionierte Kreuzung aus emotionalem Familiendrama, klassischem Whodunit und doppelbödigem Spionagethriller.
Das starke erste Filmdrittel wirkt noch recht arthousy und auffallend unterkühlt – beklemmend inszeniert ist zum Beispiel die Sequenz, in der der alleinstehende Ulrich Schneider (Henning Peker, Hinter dem Spiegel) vom Tod seines einzigen Sohnes erfährt und gedankenverloren Tomatenscheiben auf ein Stück Teig legt.
Spätestens nach dem knackigen Twist nach 45 Minuten, der nicht der letzte im 1137. Tatort bleibt, und dem einleitend erwähnten Giftanschlag sind wir dann mitten in einem waschechten Agentenfilm: Die gebürtigen Amerikaner Gretchen (Tessa Mittelstaedt, Schlangengrube) und Raymond Fisher (Kai Scheve, Tiere der Großstadt) sind die Nachbarn des Mordopfers, arbeiten für das US-Konsulat und eine große Versicherung und scheinen nicht nur den Ermittlern, sondern auch ihrer argwöhnischen Tochter Emily (Emilia Bernsdorf, Fünf Minuten Himmel) viel zu verheimlichen.
Man trifft sich unauffällig am Opernplatz, bedient im Keller antike Kurzwellengeräte und lässt sich handgeschriebene Botschaften auf Zetteln zukommen – das hat was von Kaltem Krieg, aber nicht so recht Tatort-Format. Echten Tiefgang entwickelt die Geschichte nur selten. Dennoch bekommt sie auf der Zielgeraden die Kurve, nachdem sie vorübergehend die Bodenhaftung verliert und Kommissar Zufall stark ins Geschehen eingreift (etwa im Schuhgeschäft).
Die üblichen Dialoge zwischen den Ermittlern finden zwar zu den üblichen Zeitpunkten und an den üblichen Orten statt, werden aber originell variiert. Ähnlich wie im missglückten Frankfurter Vorgänger Die Guten und die Bösen bleibt auch Zeit für Nebensächlichkeiten – etwa dann, wenn Brix sich über Jonas‘ obligatorisches „Hallo Leute!“ aufregt oder man Mitbewohnerin Fanny (Zazie de Paris) zum Grillen trifft.
Und dann spielen in Funkstille noch zwei Schauspielerinnen groß auf: Während die frühere Kölner Tatort-Assistentin Tessa Mittelstaedt (letzter Auftritt in Franziska) das eiskalte Biest gibt und sich mit einer tollen Performance von dieser Figurenschablone lösen darf, blüht Emilia Bernsdorf vor allem im verkorksten Mittelteil des Films auf. Kai Scheve hat als gebeutelter Vater die undankbarste Rolle der drei und steht den beiden Frauen nicht nur aufgrund seines deutschen Englisch, das wie alle US-Dialoge im Film untertitelt wird, chancenlos gegenüber.
Gleiches gilt am Ende – einmal mehr – für die Kommissare und Staatsanwalt Bachmann (Werner Wölbern), die ähnlich wie in Der Turm und anderen Fällen gegen „die da oben“ wenig ausrichten können: Der Hessische Rundfunk hat für seinen Frankfurter Tatort ein Markenzeichen geschaffen.
Erstaunlich schlechter Tatort, wenn man bedenkt, welche Qualität der HR sonst liefert. Irgendwie waren, finde ich, Janneke und Brix auch nicht in Hochform – normalerweise finde ich sie großartig. Na ja, beim nächsten Mal klappt es wieder besser!
Ich möchte nun doch begründen, warum mir dieser Tatort nicht gefallen hat.
Wie schon gesagt, sind Janneke und Brix nicht in Hochform: Die sonst etwas eigenartige (und damit als Figur sehr interessante) Janneke ist irgendwie viel zu geerdet und Brix sticht auch nicht wie sonst auch durch seine sympathische Art hervor.
Der Fall will ebenfalls nicht überzeugen: Es ist zwar positiv anzumerken, dass er nur in Frankfurt hätte spielen können, aber das war's dann leider auch schon. Die Figuren sind komplett überzeichnet und das Setting ziemlich unrealistisch. Ich fand die schauspielerischen Leistungen ebenfalls nicht brilliant. Das "Denglisch" des Vaters ist einfach nur peinlich.
Der Anfang bietet vielleicht noch einige ganz gute Momente, aber im Mittelteil häufen sich die Zufälle. Als die Mutter am Ende dann auch noch ihre Tochter mit gezückter Waffe verfolgt, verliert der Tatort für mich endgültig die Bodenhaftung.
Unter dem Strich können nur einige wenige gelungene Aspekte wie die Agenten-Moves von Tessa Mittelstädt und das Ende, in dem "das Narrativ geändert" wird, den Film aus der niedrigsten Schublade retten. Unter dem Strich gibt es von mir nur 3/10 Punkte.
Kann das Lob an Tessa M. nicht nachvollziehen. Unfassbar wie aufgesetzt sie die Doppelagentin spielt. Der ganze Tatort sehr durchsichtig und das Ende (Mutter verfolgt Tochter mit Waffe?!) nicht nachvollziehbar. Die Frage, warum ein Ausstieg so schwierig sei und er dafür besser sterben sollte, bleibt unbeantwortet.
Mir war die Figur der amerikanischen Mutter zu starr und derb, es fehlte der Schwung und die Gefühlsebene. Weder weibliche noch männliche Identität, einfach hölzern.
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