Folge: 1174 | 17. Oktober 2021 | Sender: MDR | Regie: Sebastian Marka
Bild: MDR/MadeFor/Hardy Spitz
So war der Tatort:
Schmerzempfindlich.
Denn im zwölften Dresdner Tatort mit Oberkommissarin Karin Gorniak (Karin Hanczewski), der unter dem Arbeitstitel Pavlovs Köter abgedreht wurde (aber nur entfernt an das empirische Experiment des russischen Nobelpreisträgers Iwan Petrowitsch Pawlow angelehnt ist), dreht sich alles um schmerzverursachende Nanopartikel – und das, was sich mit ihrem unbemerkten Einschleusen in unsere Blutbahnen so anrichten lässt.
Unsichtbar entpuppt sich schnell als mutiger und ambitionierter Wissenschaftskrimi – gemessen an den Dresdner Beiträgen der Vorjahre ist der Film aber eine kleine Enttäuschung. Die Leidtragende in diesem mit Science-Fiction- und Horror-Elementen durchsetzten Tatort ist nämlich wieder Gorniak, die bereits in Das Nest um ihr Überleben zittern musste und an unerklärlichen Schmerzen leidet – eine Ermittlerin durch persönliche Betroffenheit ins Zentrum eines Falles zu rücken, gewinnt im Jahr 2021 nun mal keinen Preis für die originellste Drehbuchidee mehr. Aber spannend ist es durchaus.
Bis die alleinerziehende Kommissarin, die zum sechsten Mal von ihrer Kollegin Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) unterstützt wird, auf die richtige Spur gelangt, vergeht ein gutes Filmdrittel: Wir werden einleitend Zeuge dessen, wie die völlig aufgewühlte, weil von einem sadistischen Stalker belästigte Anna Schneider (Milena Tscharntke) zusammenbricht und im Alter von gerade einmal 29 Jahren auf offener Straße verstirbt. Was ist passiert? Und warum litt die Verstorbene an den gleichen rätselhaften Symptomen, die nun auch Gorniak plagen?
Die Dresdner Ermittlerinnen, die von ihrem übellaunigen Chef Peter Michael Schnabel (gewohnt köstlich: Martin Brambach) auf den Fall angesetzt und erstmalig vom neuen Rechtsmediziner Jonathan Himpe (Ron Helbig) unterstützt werden, stehen vor einem Rätsel – und Himpe macht ihnen wenig Hoffnung, durch eine sündhaft teure Blutanalyse gewinnbringende Erkenntnisse beisteuern zu können. Was Schnabels schlechten ersten Eindruck von seinem jungen Kollegen nicht gerade aufwertet.
SCHNABEL:
Der geht doch gar nicht. Also jetzt mal unter uns: Können Sie den Typen leiden? Ich weiß gar nicht, was der hier will. Wo kommt der denn her?
GORNIAK:
Können Sie eigentlich irgendjemanden leiden?
Die Filmemacher kommen dem Publikum bei der Suche nach den Hintergründen früh zu Hilfe – und das liegt nicht zuletzt daran, dass erfahrene Zuschauer bei dieser Tatort-Folge schon nach den Opening Credits wissen, wer den Mörder spielt.
Mit den Kinostars Anna Maria Mühe (Stille Wasser) und Christian Friedel sind die wichtigsten Nebenrollen auffallend prominent besetzt: Mühe spielt Dr. Martha Marczynski, die im Bereich der Nanotechnologie forscht, Friedel bei seinem Tatort-Debüt ihren Laborassistenten Nils Klotsche – wer 1 und 1 zusammenzählen kann, weiß schon nach einer guten halben Stunde, in welche Richtung sich das Geschehen entwickelt. Weil das Psychogramm der seltsam verkleidet wirkenden Figuren zudem recht dünn gerät, werden beide in ihren eindimensionalen Rollen auch erst spät gefordert.
Wer der Mörder ist, was es mit Gorniaks Symptomen auf sich hat und wie sie in Verbindung zum Täter steht, hätte man in typischer Tatort-Manier erst in den Schlussminuten beantworten können – Drehbuchautor Michael Comtesse (Die Zeit ist gekommen) löst zwei der drei reizvollsten Fragen aber deutlich früher auf. Am Leben erhalten wird der 1174. Tatort durch ein schummeriges Partyvideo, das aus der Zeit von Gorniaks Besuch der Polizeischule stammt und bis auf den letzten Tropfen für den Spannungsbogen ausgequetscht wird – weil es das einzige Indiz ist, das nicht eindeutig zuzuordnen ist.
So lebt der Film über weite Strecken von seiner unbehaglichen Grundstimmung, die uns glauben lässt, Gorniak schwebe in Lebensgefahr: Während sich alles um die labile, oft leichtsinnige Kommissarin dreht und die Beziehung zu ihrem auszugswilligen Sohn Aaron (Alessandro Schuster) nach längerer Abstinenz mal wieder intensiv ausgeleuchtet wird, scheint das Interesse der Filmemacher an der Figur Leonie Winkler erloschen – dabei hatte es in Das Nest und in Nemesis noch so deutlich geglommen.
Unter Regie von Sebastian Marka, der mit dem Berliner Meilenstein Meta, dem Dresdner Gruselschocker Parasomnia und dem doppelbödigen Franken-Thriller Ein Tag wie jeder andere schon drei Tatort-Highlights inszeniert hat, schleicht sich aber auch nie Leerlauf in den Krimi ein – und er gipfelt sogar in einem packenden, wenn auch an der Grenze zur unfreiwilligen Komik wandelnden Finale, in dem sich der Horror Bahn bricht und auch Anleihen aus dem Saw-Franchise platziert werden. So entschädigen der düstere Showdown in einer Ruine und ein Überraschungsmoment im Auto ein Stück weit für das formelhafte Drehbuch und die früh vorhersehbare Auflösung.
Endlich mal ein Tatort, der gefesselt hat. Und eine Geschichte erzählt hat.
Danke Dresden.
So gute Schauspieler.
Bitte weiter mit Tatorten, die nicht nur lau oder komisch sind.
Ich zeichne mir die Tatorte inzwischen nur noch auf und kann dann löschen, wenn es nicht gefällt. So verderbe ich mir keinen Sonmtagabend mehr.
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