Folge: 1221 | 8. Januar 2023 | Sender: MDR | Regie: Andreas Herzog
Täuschend.
Für Genre-Experten aber auch etwas
enttäuschend, denn Kenner von Hollywood-Filmen wie Christopher Nolans Mindfuck
Prestige oder Tatort-Folgen wie der hessischen Tati-Hommage
Die Ferien des Monsieur Murot dürfte der finale Clou beim neunten gemeinsamen Einsatz der Dresdner Oberkommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) nicht gerade vom Hocker hauen. Der Twist in der Story von Drehbuchautorin und Tatort-Debütantin Kristin Derfler wurde in Film und Fernsehen einfach schon häufig erzählt.
So richtig in Fahrt kommt
Totes Herz, der unter dem verräterische(re)n Arbeitstitel
Der unsichtbare Tod gedreht und vor der TV-Premiere umgetauft wurde, aber nicht erst am Ende, sondern schon in der zweiten Krimihälfte – in der ersten hingegen läuft alles in recht geordneten Bahnen. Waren Dresdner Folgen in den Jahren zuvor (man denke an Schocker wie
Das Nest und
Parasomnia oder den starken Vorgänger
Katz und Maus) noch Garanten für elektrisierenden Thrill und eine steile Spannungskurve, plätschert der Tatort bis zu diesem Zeitpunkt überraschend gemächlich vor sich hin.
Aufatmen dürfen die Fans der Krimis aus dem Elbflorenz dabei schon nach wenigen Minuten: Neben Gorniak und Winkler schlägt auch Kripochef Peter Michael Schnabel (Martin Brambach), der in den Schlussminuten von
Katz und Maus bekanntlich
lebensgefährlich verletzt wurde und eine Therapie zur Traumabewältigung ablehnt, putzmunter und gewohnt schlecht gelaunt am Fundort der obligatorischen Auftaktleiche auf. Heike Teichmann (Tanja de Wendt), die Chefin einer Gärtnerei, wurde erschlagen in einem Blumenbeet aufgefunden.
Was folgt, sind routinierte Befragungen und bekannte Tatort-Strickmuster: Mit dem geistig zurückgebliebenen Juri Novak (Alexander Schuster) ist ein Hauptverdächtiger schnell ausgemacht, aufgrund seines Handicaps und der erdrückenden Indizienlast scheidet er bei der Suche nach der Auflösung der klassischen Whodunit-Konstruktion aber von vornherein aus. Viel zu verdächtig. Fest zum Tatort-Konzept aus Sachsen gehören außerdem die Mann-Frau-Kontroversen und die mal mehr, mal weniger elegant eingeflochtenen Geschlechterdebatten (vgl.
Das kalte Haus): Auch hier bleibt es nicht bei den Gendersternchen im Vorspann.
SCHNABEL:
Crime has no gender.
GORNIAK:
Also beim Tötungsdelikt haben die Männer immer noch die Nase vorn.
SCHNABEL:
Auch das wird sich ändern, Frau Gorniak. Auch das.
Was die Mörderfrage angeht, die wir
⇒ hier im Detail erläutern, sind wir beim Miträtseln im 1121. Tatort zunächst chancenlos: Die gesuchte Person taucht lange nicht auf und wird namentlich auch nicht erwähnt. Als sie dann erstmalig die Bildfläche betritt, wird ihre Täterschaft direkt enthüllt.
Totes Herz soll aber auch weniger als Krimi zum Miträtseln funktionieren. Vielmehr lassen uns die Filmemacher genüsslich im Dunkeln tappen, um das Gaspedal im Mittelteil des Krimis durchzutreten und am Ende eine Bombe platzen zu lassen. Fremdgehen und Entfremdung, Verschweigen und Verschwinden: Das Krimidrama reißt auf dem Weg zum Ziel gleich mehrere Themen an, um sie plötzlich radikal vom Tisch zu wischen.
Pünktlich zur vollen Stunde – auch das passt in die anfangs so konventionelle Konstruktion der Geschichte – gibt es eine zweite Leiche, und die Verfolgungsjagd per pedes darf in diesem mit angenehm unverbrauchten Gesichtern besetzten Krimi unter Regie von Andreas Herzog (
Zorn) ebenfalls nicht fehlen. Der Kreis der Tatverdächtigen gestaltet sich dabei überschaubar: Weil das private und berufliche Umfeld des Opfers durch den Familienbetrieb miteinander verschmelzen, kommen nur drei Personen infrage. Nadine Teichmann (Kristin Suckow), die Tochter des Opfers, Patrick Teichmann (Nico Rogner), der Schwiegersohn des Opfers, und Swetlana Novak (Lara Feith), die in der Gärtnerei arbeitet und dem untergetauchten Juri Novak vorübergehend Obdach gewährt.
Die Suche nach dem flüchtigen Hauptverdächtigen, die neben der Tätersuche lange Zeit als zweite Antriebsfeder der Geschichte fungiert, gestaltet sich aber weniger mitreißend, als die Filmemacher es sich wohl erhofft haben: Durch sein verwirrtes Auftreten finden wir keinen Zugang zu dem Jungen, der im Körper eines Erwachsenen steckt und sich geistig auf dem Niveau eines Fünfjährigen bewegt. Entsprechend kalt lässt uns sein Schicksal. Und weil wir dank eines Wissensvorsprungs gegenüber den Ermittlern ohnehin wissen, wo Novak sich versteckt, entpuppt sich seine Flucht als durchschaubare Nebelkerze, die dazu dient, uns vom späten Clou dieser Tatort-Folge abzulenken.
Wie einleitend erwähnt, ist der Twist auf der Zielgeraden sehr wirkungsvoll arrangiert und entfaltet zumindest für Gelegenheitszuschauer einen erheblichen Verblüffungseffekt. Ausgewiesene Krimi-Experten dürfte er aber nicht überraschen, und im Detail ist er auch wenig glaubwürdig. Mit grandiosen Tatort-Wendungen früherer Tage – etwa in der Kölner Folge
Der Reiz des Bösen, der Hamburger Folge
Alles was Sie sagen oder der Münchner Folge
Der oide Depp – kann
Totes Herz deshalb trotz seiner starken Ansätze und des einmal mehr prächtig harmonierenden Ermittlertrios nicht ganz mithalten.
Bewertung: 7/10
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