Das Drehbuchautorenduo um Arne Nolting und Jan Martin Scharf, der bei seinem fünften Tatort auch selbst Regie führt, erzählt von Beginn an zwei gleichermaßen wichtige Geschichten parallel: Zum einen ermitteln Ballauf und Schenk in gewohnt souveräner Manier (zähe Zwischenfazits für denkfaule Zuschauer inklusive), zum anderen werden wir Zeuge von häuslicher Gewalt und Kindesmisshandlung in einem Familiendrama, das den größten Reiz in diesem Krimi entfaltet – den Reiz des Bösen eben.
Dass der verurteilte Totschläger Bastian „Basso“ Sommer (Torben Liebrecht,
Todesspiel) kein Kind von Traurigkeit, sondern ein gefährlicher Gewalttäter ist, erfahren wir schon vor seiner Haftentlassung, und dass sein Einzug bei der alleinerziehenden Ines Schröter (Picco von Groote,
Niedere Instinkte), die sich über eine Brieffreundschaft im Knast in ihn verliebt hat, kein gutes Ende nehmen kann, ist früh zu erahnen. Wir können kaum begreifen, wie eine solche Liebe möglich sein kann – dass der Mann nichts Gutes im Schilde führt, riecht man schließlich zwei Meter gegen den Wind.
Besonders die beklemmenden Szenen, in denen Ines‘ Sohn Lenny (Wulf Kurscheid) unter den Gewaltausbrüchen des fiesen Ex-Sträflings leidet und sein Grundvertrauen in die eigene Mutter verliert, lassen wohl niemanden kalt – es sind die intensivsten Momente dieses starken Krimidramas. Und sie bereiten den Boden für einen tollen Plottwist, der in kleineren Details angedeutet wird und uns auf der Zielgeraden den Boden unter den Füßen wegzieht (wer nicht alles verstanden hat:
Hier gibt es unsere ausführliche Tatort-Erklärung.)
Auch der herzkranke Assistent Norbert Jütte (Roland Riebeling) verliert bei seinem 11. Einsatz vorübergehend den Halt, denn Der Reiz des Bösen ist sein bisher persönlichster Fall: Weil er zu seiner Zeit bei der Wuppertaler „Sitte“ ein späteres Opfer des gesuchten Mörders kennengelernt und sich nach dessen Tod mit Elan in die Ermittlungen gestürzt hatte, verliehen ihm die Ex-Kollegen den Spitznamen „Turbo-Jütte“ – was für Ballauf und Schenk, die ihn einleitend beim Beobachten einer Weinbergschnecke auf der Tatstatur ertappen, natürlich eine völlig abwegige Vorstellung und eine Steilvorlage für Gags ist.
Dennoch verliert der Film bei diesen humorvollen, stellenweise aber auch sehr nachdenklichen Szenen selten die Balance zwischen Kriminalistik, Komik und Tragik – erst am Ende, als der Fall zu den melancholischen Klängen von
Cigarettes After Sex gelöst und der Mörder verhaftet ist, muss noch ein für die Folgen aus der Domstadt typischer, allzu seichter Ausklang her. Eine Anspielung auf ein zweites ARD-Format neben dem Tatort gibt’s auch noch – und einen letzten Blick auf einen der schicksten Dienstwagen, den Freddy Schenk jemals fahren durfte.
Was passiert denn jetzt mit der Karre?
SCHENK:
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