Folge: 1240 | 4. Juni 2023 | Sender: BR | Regie: Michael Krummenacher
Patriarchalisch.
Dabei kommt der neunte Franken-Tatort ohne zwei Männer aus, die bis dato fest zum Ensemble zählten und für den markanten Dialekt im Ermittlerquintett verantwortlich zeichneten: Während die Abstinenz von Rechtsmediziner Michael Schatz (Matthias Egersdörfer) der Geschichte von Drehbuchautor Bernd Lange (
Die Blicke der Anderen) geschuldet ist, hat sich Andreas Leopold Schadt dauerhaft vom „Dadord“ verabschiedet. Sein Ausstieg, den wir in
→ diesem Artikel erläutern, hat einen anderen Grund: Der Schauspieler war „nicht mehr so zufrieden mit seinem Einsatz“ und will sich neuen Herausforderungen stellen.
Die warten in
Hochamt für Toni auch auf Hauptkommissar Felix Voss (Fabian Hinrichs), der in seinem bisher persönlichsten Fall das Innenleben einer erzkonservativen Familie aus dem fiktiven Konradsgrün ausleuchtet: Die titelgebende Toni Hentschel war ein Schwarm seiner Jugend, hat sich aber unter mysteriösen Umständen das Leben genommen. Seltsam verschlossen geben sich die Hinterbliebenen: Ihr Vater, der Bilderbuch-Patriarch Johannes Hentschel (André Jung,
Flash), ein mächtiger Industrieller. Dessen Frau Anna Hentschel (Marita Breuer,
Das fleißige Lieschen), die im Rollstuhl sitzt. Und auch ihre Söhne, Christian (Johannes Allmayer,
Der hundertste Affe) und Lukas Hentschel (Sebastian Zimmler,
Déjà-vu), die die Firma vom Vater übernommen haben.
Als Voss ein Anruf seines Jugendfreundes Marcus Borchert (Pirmin Sedlmeir,
Echolot) erreicht, der in Tonis Heimatdorf als Pfarrer arbeitet und neue Erkenntnisse zu ihrem Tod ins
Hochamt einbauen wollte, reist der Nürnberger Kommissar nach Konradsgrün – kann aber nicht mehr verhindern, dass Borchert vor seiner Predigt ermordet wird. Weil die männlichen Hentschels ihn abblitzen lassen und er an Anna Hentschel nicht herankommt, wird die zweite Tochter der Familie eine Art Verbündete: Eva Hentschel (Sina Martens,
Türkischer Honig) ist die Schwester der verstorbenen Erstgeborenen und weiß genau, warum sich deren Hoffnungen auf die Firmenübernahme nie im Leben erfüllt hätten.
EVA HENTSCHEL:
Toni war immer und überall die Beste. Sie hätte alles haben können. Aber das?
FELIX VOSS:
Warum?
EVA HENTSCHEL:
Weil sie eine Frau war.
FELIX VOSS:
Das ist doch Quatsch.
EVA HENTSCHEL:
Das kann nur ein Mann antworten.
So beginnt er, der sehr männlich geprägte 1240. Tatort, in dem auch die Kolleginnen Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) und Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) fast zu Randfiguren degradiert werden: Während Ringelhahn Voss zumindest nachreist und nicht nur beruflich unterstützt, sondern auch eine Schulter zum Anlehnen bietet, bleibt Goldwasser unter Aufsicht des argwöhnischen Polizeipräsidenten Dr. Kaiser (Stefan Merki) im Präsidium. Dass sie Fleischers Aufgaben miterledigt, wird nicht thematisiert – vermissen tut man nicht seine Figur, als vielmehr seinen symbaddischen Dialekt.
Den übernimmt stattdessen der in Konradsgrün zuständige, oberpfälzische Dorfpolizist, der – und das ist typisch für die Krimireihe – mit dem Großstadtbullen Voss intellektuell nicht mithalten kann: Hans Bartram (Kabarettist Bernd Regenauer,
Ich töte niemand) geht alles etwas ruhiger an und hat wenig Interesse daran, den Nürnberger Kollegen an der Aufklärung des Mordfalls teilhaben zu lassen. Eine klassische, entsprechend berechenbare Konstellation. Mit Blick auf die Zuständigkeiten bedienen sich die Filmemacher aber eines Kniffs: Die Hütte, in der Toni einst verbrannte, steht außerhalb des Dorfs auf mittelfränkischem Boden. So kann Voss in der zweiten Filmhälfte offizielle Recherchen anstellen.
Zu diesem Zeitpunkt nimmt das künstlerisch angehauchte, sommerliche Krimidrama dann erstmalig Fahrt auf: Nach einem Sniper-Anschlag verlagert sich der Fokus endgültig auf die Hentschels, der Tod des Pfarrers rückt in den Hintergrund. Dass die Todesfälle zusammenhängen (müssen), dürfte Krimikenner kaum überraschen, die Auflösung der Täterfrage gestaltet sich dennoch knifflig. Toni und Eva Hentschel, die beide Sina Martens verkörpert, sehen sich zudem sehr ähnlich, was die Chance auf den vielbemühten Zwillingstwist bietet – erfreulicherweise wird diese Karte aber nicht gespielt.
Hochamt für Toni, dessen mit Rückblenden durchsetzte Geschichte stellenweise an den missglückten Münchner Ménage-à-trois-Tatort
Die ewige Welle erinnert, überzeugt unter Regie von Tatort-Debütant Michael Krummenacher vor allem auch ästhetisch: Der Film ist stimmungsvoll inszeniert, melancholisch vertont und fabelhaft fotografiert. Kameramann Jakob Wiessner erlaubt sich schicke Fingerübungen (etwa eine doppelte 360-Grad-Fahrt um einen Pavillon). Nur die Spannungskurve schlägt selten nach oben aus: Die hübsche Verpackung kann die eher zähe Geschichte nicht ganz aufwiegen. Auch über manche Ungereimtheit im Drehbuch muss man hinwegsehen können.
Bewertung: 6/10
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